Vorschusslorbeeren für den „Weltenretter“

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US-Präsident Barack Obama erhält Auszeichnung für seine Rhetorik, die Proklamation einer „besseren Welt“ und die Abkehr von George W. Bush. Den Worten müssen aber erst Taten folgen.

In Washington war es stockfinstere Nacht, und der Präsident schlief noch, als ihn sein Pressesprecher Robert Gibbs um kurz vor sechs Uhr Früh per Telefon mit der Frohbotschaft aus Oslo weckte. Im Weißen Haus rieben sich die Mitarbeiter der Nachrichtenzentrale den Schlaf aus den Augen und mochten es selbst kaum glauben, dass Barack Obama nach nicht einmal neun Monaten im Amt schon den Friedensnobelpreis zuerkannt bekommen hat. Nur zwei amtierenden US-Präsidenten ist diese Ehre bisher widerfahren – und das bereits in grauer Vorzeit: Theodore Roosevelt (1906) und Woodrow Wilson (1919). „Wow“, lautete denn auch die bezeichnende Reaktion von Gibbs in einem E-Mail. Auch der abgebrühte Präsidentenberater David Axelrod zeigte sich überrumpelt: Der Präsident sei voller Demut, teilte er mit.

Manche hielten das Ganze für einen Witz. Konservative Kommentatoren schütten prompt ihre Häme aus. Das sei so, als würde Sarah Palin den Literaturnobelpreis erhalten, schrieb einer in seinem Blog. Die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin hat gerade ihre Memoiren fertiggestellt.

„Ist nicht George W. Bush“

„Wofür kriegt er den Preis?“, fragte ein Kolumnist des „Wall Street Journal“ sarkastisch: „Dafür, dass er mit Hillary Clinton Frieden geschlossen hat?“ Und auf Twitter brachte einer den weit verbreiteten Tenor auf den Punkt: „Dafür, dass er nicht George W. Bush ist.“

Von Anfang, dem symbolträchtigen Aus für Guantánamo, an hat Obama den Bruch mit der Ära Bush vollzogen und von Kairo bis Teheran und von New York bis Prag eloquent einen Neuanfang proklamiert, zuletzt bei seiner Jungfernrede vor der UNO. Für die Abkehr von der amerikazentristischen Politik seines zerzausten Vorgängers, für seine Dialogbereitschaft, die Vision einer atomwaffenfreien Welt und den Verzicht auf das Raketenabwehrsystem feierte ihn – fast – die ganze Welt.

Im Rosengarten des Weißen Hauses stellte Barack Obama an einem strahlend sonnigen Vormittag dann erneut seine Qualitäten als salbungsvoller Rhetoriker unter Beweis – eine Eigenschaft, für die die Welt den Newcomer mindestens so bewundert wie für seine Politik. „Ich verdiene die Würde nicht und teile sie mit allen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.“ Er fühlt sich indes von den Vorschusslorbeeren bestätigt.

Für Obama war es eine Woche im Wechselbad der Gefühle. Vor einer Woche hatte er Zerknirschung nach seiner Blitzmission nach Kopenhagen eingestanden. Das Olympische Komitee hatte bei der Kür der Sommerspiele 2016 seiner Wahlheimat Chicago eine glatte Abfuhr erteilt.

Die Auszeichnung rief in Washington wieder jene messianische Erwartung in Erinnerung, die Obamas Wahlkampagne und sein Slogan „Yes, we can“ geweckt hatten. Nicht zuletzt die vergangenen Tage haben allerdings vorgeführt, dass auch ein Barack Obama nicht auf Wasser wandeln kann, wie manche es ironisch formulierten.

Just in einer Woche, die ihn mit dem Nobelpreis bedenkt, hat ihm die Realpolitik ein Schnippchen geschlagen. Um die chinesische Führung im Vorfeld seines Peking-Besuchs im November nicht zu verprellen, hat Obama den Dalai Lama – den Friedensnobelpreisträger von 1989 – „vertröstet“ und ein Treffen hinausgeschoben. Er werde die Tibet-Frage und die Menschenrechte gleichwohl ansprechen, gelobte er.

Im Afghanistan-Dilemma

Gerade steckt die US-Regierung mitten im mühevollen Entscheidungsprozess über die Afghanistan-Strategie. Ein Dilemma: Soll Obama die Truppen verstärken, wie es viele Militärs fordern – ein Risiko, das den USA noch mehr finanzielle wie personelle Opfer abverlangen wird? Oder soll er Afghanistan – als unregierbares Land, als Hort des Terrors und des Chaos – sich selbst überlassen? Es ist die schwierigste Weichenstellung seiner Präsidentschaft.

Obamas Versprechen sind uneingelöst. Nicht nur die Schließung Guantánamos wirft unerwartete Probleme auf. Seine von ambitionierten Friedensbotschaften beflügelte Außenpolitik hat im Iran und im Nahen Osten einen Dämpfer erhalten. Von Nordkorea bis Kuba haben die Diktatoren die ausgestreckte Hand bisher nicht ergriffen.

Und innenpolitisch kommen die USA, belastet mit einem Rekordbudgetdefizit und einer Arbeitslosenrate von 9,8 Prozent, nur allmählich aus der größten Krise seit der Depression der 1930er-Jahre. Auf dem Weg nach Oslo werden die Gegner Obama noch ein paar Prügel zwischen die Beine werfen und womöglich das Klimaschutzabkommen in Kopenhagen kurz vor der Verleihungszeremonie Anfang Dezember torpedieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2009)

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