Viennale: "Ausländer sind die neuen Juden"

Frederic Morton in Andrea Eckerts Doku ''Durch die Welt nach Hause - Die Lebensreise des Frederic Morton''
Frederic Morton in Andrea Eckerts Doku ''Durch die Welt nach Hause - Die Lebensreise des Frederic Morton''(c) Viennale (Andrea Eckert, A/USA 2009)
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Dem Erfolgsautor Frederic Morton ist beim Filmfestival eine Doku gewidmet. Er musste 1940 aus Wien flüchten. Die ausländerfeinlichen Plakate in Wien erinnern den 85-Jährigen an seine Vergangenheit.

Im Februar 1940 musste Fritz Mandelbaum vor den Nazis aus Wien flüchten, in den USA wurde er als Frederic Morton zum gefeierten Autor. Bei der Viennale wurde nun anlässlich des 85. Geburtstages, den der jüdische Schriftsteller vor drei Wochen feierte, der neue Dokumentarfilm "Durch die Welt nach Hause. Die Lebensreise des Frederic Morton" von Andrea Eckert bei der Viennale vorgestellt.

"Es war ein großer Schock, mich zum ersten Mal auf der großen Leinwand zu sehen", sagte Morton im Gespräch mit der APA. "Als ich 15 war, wollte ich immer ein Filmstar werden - und mit 85 wurde ich einer." "Es ist sehr seltsam, sich selbst und die eigene Lebensgeschichte im Film zu erleben. Was mich als erstes überraschte, war die Größe meiner Glatze", scherzte der Festivalgast.

In Wien und in New York

Er habe durch den Film auch einiges über sich gelernt, etwa dass er, wenn er Englisch rede, eine ganz andere Person sei. "Dann habe ich mehr Autorität, bin direkter, was wohl daher kommt, dass ich auf Englisch denke und schreibe." Wenn es um intellektuelle Themen gehe, müsse er auf Deutsch sehr vorsichtig und nuanciert sein - "das ist viel schwieriger".

Andrea Eckert lässt Morton seine Lebensgeschichte erzählen, begleitet ihn durch seine ehemalige Heimatstadt und spricht mit ihm in seiner neuen Heimat New York, illustriert seine Worte mit den dazupassenden Bildern. "Wir haben uns auf einer Dinner-Party getroffen, da hat sie mir das Projekt vorgeschlagen. Dann haben wir recht bald bei einem meiner Besuche in Wien mit den Dreharbeiten begonnen. Anfangs war es schwierig, die schrecklichen Erinnerungen aus mir heraus und in die Kamera zu bekommen", so Morton. Erst bei den Gesprächen in New York, als er die Crew besser kennt und die Gespräche auf Englisch geführt werden, wirkt Morton entspannter.

Wien: Lebenswert, aber traurig

Wenn er heute nach Österreich komme, sei der stärkste Eindruck immer "der enorme Kontrast zwischen dem Wien aus meiner Kindheit und dem Wien heute. In den 30er Jahren war Wien so arm, das kann man sich kaum vorstellen - und heute ist es die lebenswerteste Stadt der Welt. Wenn ich hier auf die Straße gehe und sehe, wie sauber alles ist, und dann zurück nach New York komme, habe ich das Gefühl, New York ist ein Slum - und ich lebe in keiner schlechten Gegend, müssen Sie wissen. Damals war es genau umgekehrt."

Umso trauriger machen ihn fremdenfeindliche Plakate in der Stadt. "Die Ausländer sind die neuen Juden", philosophiert Morton. "Wenn man das Wiener Telefonbuch durchgeht, liest man sehr viele Namen mit tschechoslowakischem Ursprung. Die FPÖ würde nun sagen, dass die sich auch der österreichischen Kultur angepasst haben. Aber die jetzigen Nicht-Österreicher würden sich mit Sicherheit auch anpassen. Ich denke, je toleranter die Wiener gegenüber diesen neuen Immigranten sind, desto mehr werden sich diese im Wiener Leben engagieren und integrieren - genauso wie die Tschechen und Juden zur österreichischen Kultur beigetragen haben, werden auch sie das tun."

Wenn Morten heute auf seinen Lebensweg zurückblickt, sei der wichtigste Moment jener gewesen, als er seine Frau Marcia getroffen habe, die leider bereits verstorben sei. "Sie hat die besten Qualitäten von Europa und Amerika in sich vereint", so der immer noch arbeitseifrige 85-Jährige, der hofft, dass er sein Leben "noch einige Jahre so führen kann wie jetzt. Meine Eltern wurden sehr alt, also bin ich guter Hoffnung." Sein Motto ist und bleibt dasselbe: "Ich bin prinzipiell ein Pessimist - aber es ist gesund, wie ein Optimist zu handeln."

Der Autor

Frederic Morton wurde am 5. Oktober 1924 in Wien als Fritz Mandelbaum geboren. Der Schriftsteller gilt als Meister der sanften Satire und hat mit "Die Rothschilds, ein Porträt der Dynastie" und den Wien-Bänden "Schicksalsjahr Wien 1888/1889", "Ewigkeitsgasse" und "Wetterleuchten 1913/1914" seine größten Erfolge gefeiert.

(APA)

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