Villa Schoeningen: Ein fröhlicher Ort der Freiheit

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Das Freiheitspathos, das wir mit dem 9.November 1989 verbinden, ist im Alltag der Stadt nicht anzutreffen. In der Villa Schoeningen schon.

Angeblich ist eine Taxifahrt die beste Möglichkeit, sich über die politische Situation in einem Land zu informieren. Also nimmt der sparsame Besucher, der sonst die perfekten Busverbindungen von Tegel nach Berlin-Mitte nutzt, an diesem frühen Sonntagmorgen ein Taxi. Es ist der Vortag zum 20-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls, und man möchte doch wissen, wie dieses Jubiläum in den unterschiedlichen Wirklichkeiten Deutschlands gesehen und gefeiert wird.

Eines scheint gewiss: Das Freiheitspathos, das der politmediale Komplex und die akademische Geschichtswissenschaft mit dem 9. November 1989 verbinden, geht am Berliner Alltag einigermaßen spurlos vorüber. Vielleicht entsteht dieser Eindruck aber auch nur, wenn man an einen Taxilenker gerät, der aus Bulgarien stammt, seit 30 Jahren in Berlin lebt und, was man wohl nur als besondere Strafverschärfung interpretieren kann, im Nebenberuf Journalist ist. Weil er perfekt Russisch kann.

Demokratie? Gibt's gar nicht?

Also, wenn die Taxifahrertheorie stimmt, sieht es in Deutschland derzeit so aus: Früher hatten die Leute keinen Pass, aber einen Job. Heute haben sie einen Pass, aber keinen Job. Früher durften sie gegen politische Entscheidungen nicht demonstrieren. Heute dürfen sie das, es werden aber dennoch die Entscheidungen getroffen, die von den Herrschenden für richtig gehalten werden. Demokratie? Gibt's gar nicht. Kapitalismus? Schau'n Sie sich mal um.

Außerdem sei das keine Wiedervereinigung gewesen, was dem 9.November folgte, sondern ein Anschluss. Mal ganz davon abgesehen, dass Deutschland kein legaler Staat sei. Das habe ihm ein befreundeter Anwalt erklärt. Mit der Verfassung stimme irgendetwas nicht, was genau, könne er jetzt aber nicht sagen.

Was für Deutschland gelte, gelte für die ganze Region, in der nach dem 9.November 1989 die realsozialistischen Regimes stürzten wie die Domino-Mauersteine, die gestern Abend in Berlin Mitte einer nach dem anderen kippen sollten. Als er noch in Sofia gelebt habe, sagt der Taxifahrer, habe er nie Obdachlose gesehen. Wenn jemand betrunken auf der Straße liegen geblieben sei, habe man ihn nach Hause getragen. Hier in Berlin würde er ausgeraubt und umgebracht. Wenn das Freiheit sei, könne er gut darauf verzichten.

Die Wahrnehmungsunterschiede im Blick auf das „Wunder von Berlin“ vor 20 Jahren, das ist unübersehbar, manifestieren sich vor allem in der Frage, was man denn unter „Freiheit“ zu verstehen habe. Mit der Bewegungsfreiheit sieht es dieser Feiertage in Berlin Mitte nicht so toll aus. Wer den Tiergarten umrunden will, stößt an den neuralgischen Punkten auf Polizeisperren: Im Hotel Intercontinental wohnen die Staatsgäste, im Schloss Bellevue empfängt Horst Köhler, vor dem Brandenburger Tor wird alles für die Feierlichkeiten hergerichtet. Am Sonntag konnten Fußgänger noch ungehindert passieren, am Montag nur noch, wenn sie keinen Hund dabeihatten.

Die Geschichte, heißt es, ist eine wunderbare Lehrerin, es fehlen ihr bloß die Schüler. In der Villa Schoeningen, an der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam, die früher Ost und West geteilt hat, und auf der während des Kalten Krieges spektakuläre Agentenaustauschaktionen stattgefunden haben, herrscht indes weder Lehrer- noch Schülermangel. In dem Haus, das vor knapp zwei Jahren von Mathias Döpfner, dem Vorstandschef der Axel Springer AG, und dem Bankier Leonhard Fischer gekauft, saniert und als Museum deutsch-deutscher Geschichte eingerichtet wurde, wurde man am Sonntagabend vom Atem der Geschichte umweht. Henry Kissinger und Michail Gorbatschow schoben sich da ebenso durch die Menge wie Hans Dietrich Genscher und Lord Weidenfeld, einer der ganz großen Zeitzeugen des 20.Jahrhunderts.

Lieber Sicherheit als Freiheit?

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihren Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mitgebracht hatte, eröffnete das Haus, zwar nicht mit einer begeisternden Rede, aber doch persönlich. Der polnische Außenminister Radolsaw Sikorski entschädigte mit einem brillanten Rückblick auf das Jahr 1989, das er als Journalist erlebt hatte. Sikorski machte ebenso wie Hausherr Döpfner deutlich, dass es das, was das Haus nach dem Willen seiner Eigentümer sein soll, wirklich geben kann: einen „fröhlichen Ort der Freiheit“. Er befindet sich ungefähr dort, wo das Wertepathos der früheren Generation, verkörpert durch Henry Kissinger, durch einen selbstkritischen, bei aller Ironie nie unernsthaften Zugang zu Geschichte und Gegenwart angereichert wird.

Wie repräsentativ das historische Seminar in Potsdam für die deutsche Gesellschaft gewesen sein mag, ist schwer zu sagen. Das größte Problem mit der Erinnerung an den 9.November 1989 scheint ja, dass von all dem, was an Zumutungen untrennbar mit der Freiheit verbunden ist – das Risiko des Scheiterns, die Verantwortung für einen selbst, die Gefahr von Missbrauch und Exzess –, in unseren Tagen nicht gern geredet wird. Die Mehrheit zieht die Sicherheit, so trügerisch sie auch sein mag, der Freiheit vor. Schon allein deshalb muss man jedem Deutschen empfehlen, die Villa Schoeningen zu besuchen: Dort kann man in schnörkellosen Dokumentationen sehen, was Menschen bereit waren, für die Freiheit zu riskieren: Alles. Das eigene Leben miteingeschlossen.

Villa Schoeningen

Das Privatmuseum in Potsdam weist starke Österreich-Bezüge auf: Lena Maculan, die auch für Thaddäus Ropac arbeitet, hat die künstlerische Leitung des Gesamthauses inne, Kunsthallen-Chef Gerald Matt hat die erste zeitgenössische Ausstellung kuratiert, als Doppelconférence mit seiner derzeit in Wien gezeigten „1989“-Schau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2009)

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