Warum die Russen keine Chinesen sind

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Anders als China enttäuschte Russland die Hoffnung, es könne das Wachstum der Weltwirtschaft stützen. Nun will das Establishment vom Nachbarn lernen. China ist auf dem besten Weg Japan als zweitgrößte Ökonomie zu überrunden.

Moskau. Um einen guten Rat einzuholen, ist kein Weg zu weit. Nicht einmal der nach Suifenhe. Am nordöstlichen Zipfel der Chinesischen Volksrepublik liegt das winzige Städtchen, wenige Kilometer hinter der russischen Grenze. Hier soll sie liegen, die Antwort auf die große Frage: wie die Herrschaft einer dominanten Partei aufrechterhalten und gleichzeitig Wirtschaftswachstum generieren? Da kann nur China weiterhelfen, dachten vor Kurzem Anhänger der Putin-Partei „Einiges Russland“, setzten sich ins Flugzeug und flogen nach Suifenhe.

Nicht nur die Einheitspartei ist an die Grenzen ihrer eigenen Herrschaftsideen gelangt, sodass sie Wahlen immer dreister fälschen muss. Der ganze Riesenstaat steht vor der Frage, warum er zu den größten Leidtragenden der Wirtschaftskrise gehört. Warum er wirtschaftlich anfälliger ist als das aufstrebende Reich der Mitte. Und warum er mit diesem nicht Schritt halten kann.

China wird heuer nicht nur das Ziel von acht Prozent Wachstum erreichen. China ist auf dem besten Weg, vielleicht schon in nächster Zeit Japan als zweitgrößte Ökonomie zu überrunden.

Kein Bric-Staat mehr?

Geht in China die Post ab, so will in Russland der Kater nach dem Boom nicht vergehen. Die Wirtschaft wird heuer um acht bis neun Prozent schrumpfen. „Die Krise hat unsere Schwachpunkte offengelegt“, meinte Präsident Dmitri Medwedjew kürzlich in einem Interview für den „Spiegel“. Mit „Modernisierung“ und „Diversifizierung“ könnte sich „vielleicht in zehn bis 15 Jahren“ eine neue Ökonomie auftun.

Die Welt ist desillusioniert. Sie hat gehofft, dass die sogenannten Bric-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China, dem globalen Abwärtstrend trotzen. Als einziges dieser größten Schwellenländer kann Russland 2009 kein Wachstum generieren. Zeit, den formlosen Klub der Bric-Staaten zu verlassen, meint daher Nuriel Rubini. Der US-Ökonom hat nicht nur als Erster die Wirtschaftskrise vorausgesagt. Er hat später auch die Liste jener Staaten erstellt, die als Lokomotiven des globalen Aufschwungs fungieren. Russland kommt darin nicht vor: „Russland braucht eher einen Gesundungsprozess“, meint Rubini.

China zieht davon

Ob in Fragen der Konkurrenzfähigkeit, der Korruption oder der Rechtssicherheit – Russland schneidet schlechter ab als die anderen Bric-Staaten. Dazu kommt die Rückständigkeit in der Infrastruktur. Schließlich ist Chinas Export im Vergleich zum russischen Rohstoffexport diversifiziert. Und während Russland insgeheim auf den steigenden Ölpreis baut, konnte China die Binnennachfrage erfolgreich stimulieren.

Dass sich Russland selbst bei allen strukturellen Unterschieden mit China vergleicht, hat auch historische Gründe. Gegen Ende der Sowjetzeit wirtschaftlich noch auf Augenhöhe, zog China im Nu davon. Reüssierte mit einem wirtschaftlichen Pragmatismus vor dem Hintergrund der politischen Repression, während Russlands ruckartige Öffnung in einer chaotischen Oligarchie endete: „China ist nun die stärkere und dynamischere der beiden größten Kontinentalmächte Ostasiens“, meint Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Institut.

Gut möglich also, dass Putin die Chinesen vor Augen hatte, als er einen autoritären Kurs einschlug und die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft ausweitete. Vielen waren die Anleihen beim chinesischen Modell von Anfang an verdächtig. „Autoritärer Staat plus liberale Ökonomie – in Russland funktioniert das nicht“, meint Michail Sadornov, damals Dumaabgeordneter und heute Großbanker. Hierarchische Struktur sei vielleicht in Ostasien mit Arbeitsmoral, hohem Organisationsgrad und kultureller Strenge gepaart, sagt er. Je härter aber in Russland die Staatshand sei, umso schwächer die Umsetzung der Gesetze.

Putins Schelte

Dennoch: „Russland kann von den Chinesen lernen“, ist Vladislav Inosemzev überzeugt. Der Moskauer Ökonom hat sich zuletzt als Theoretiker eines Modernisierungskurses hervorgetan. Chinas Modernisierung gründe auf ausländischen Direktinvestitionen und der innovativen Kopie ausländischer Technologie. Auch habe China seine Waren auf dem Weltmarkt positioniert, die Infrastruktur modernisiert, die Korruption erfolgreich bekämpft und den Kader erneuert: „China lehnt die Demokratie westlichen Typs ab“, sagt Inosemzev: „Aber es schenkt der Effizienz im Management große Aufmerksamkeit.“

Was die russische Einheitspartei an Ratschlägen aus Suifenhe mitbrachte, zeigte sich am Samstag in Putins Rede vor dem Parteikongress von „Einiges Russland“: Die Wirtschaftskrise habe gezeigt, dass es ein Land teuer zu stehen komme, sich der Innovation zu verweigern, Ressourcen zu verschwenden und zu viel Bürokratie zu haben, sagte Putin und schloss sich damit dem Staatschef an.

Freilich hatte Medwedjew in seiner „Rede an die Nation“ vor zwei Wochen Akzente gesetzt, die in China undenkbar wären: Er betonte, wie wichtig demokratische Werte und Institutionen für die Modernisierung seien.

Auf einen Blick

China und Russland entwickeln sich seit dem Ende der Sowjetzeit bei der Wirtschaftsleistung auseinander. Während Chinas Wirtschaft heuer um acht Prozent wächst, schrumpft die russische um acht Prozent. Schuld sind die Fixierung auf Rohstoffe, fehlende Infrastruktur und Korruption.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2009)

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