„Umverteilung ist kein Selbstzweck“

Streitgespr�ch / Bures - Felderer  Photo: Michaela Bruckberger
Streitgespr�ch / Bures - Felderer Photo: Michaela Bruckberger(c) (Michaela Bruckberger)
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Interview. IHS-Chef Bernhard Felderer und WIFO-Ökonom Markus Marterbauer sehen manches unterschiedlich: die Gefahr einer Arbeitslosenfalle, ungleich verteilte Einkommen und hohe Transferleistungen.

Die Presse: Warum ist Umverteilung nötig?
Bernhard Felderer: Umverteilung ist kein Selbstzweck. Der Zusammenhang zwischen sehr ungleich verteilten Einkommen und Kriminalität ist aber nicht zu leugnen. Außerdem zeigt sich seit über 100 Jahren, dass Viele mit der wachsenden Konkurrenz nicht zurechtkommen oder ihre Vorsorge durch Inflation verlieren. Für sie hat sich Umverteilung als notwendig erwiesen.

Ist es die Aufgabe des Staates umzuverteilen?
Felderer: Ja, in gewissem Umfang muss er das. Es gibt Investitionen wie im Bereich Bildung oder Forschung, die nicht ausreichend unterstützt würden, wären sie ausschließlich privat finanziert.

Die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren nicht im gleichen Ausmaß wie die Wirtschaft gewachsen. Ein Problem?
Felderer: Die Unternehmen müssen international wettbewerbsfähig bleiben. Das bedingt, dass sich Lohnsteigerungen in Grenzen halten. Ich halte es nicht für sinnvoll, allgemeine Lohnquoten zu errechnen, um damit dann Politik zu machen.

Sind die Einkommen ungleicher geworden?
Felderer: Es gibt einen Unterschied zwischen stark und schwach regulierten Staaten. In kaum regulierten Staaten sind die Unterschiede größer. Auch in Europa sind die Lohneinkommen ungleicher geworden, aber die Spreizung der Einkommen ist geringer.

Ist es ein Problem, dass in Österreich ein Großteil der Bürger von sozialen Transfers lebt?
Felderer: Wenn die Menschen anders wirklich nicht überleben können, müssen wir ihnen Transferleistungen bezahlen. Die Frage aber ist, ob sie dadurch verleitet werden, weniger zu arbeiten. Denn durch die Transfers taucht die Alternative auf, entweder nichts zu arbeiten und trotzdem Geld zu erhalten, oder zu arbeiten und dennoch wenig zu verdienen. Weil es diese Versuchung gibt, muss man die „Arbeitslosenfalle“ im Auge behalten. Aber die Deutschen hatten damit in den letzten 20 Jahren viel mehr Probleme als die Österreicher.

Würde ein Transferkonto am Ausmaß der sozialen Umverteilung etwas ändern?
Felderer: Die Idee, mehr Transparenz in die Verteilung der Leistungen zu bringen, ist gut. Wir brauchen klare Verhältnisse. Ich glaube aber nicht, dass sich durch ein solches Konto allzu viel ändern wird. Niemand wird deshalb auf der Strecke bleiben. Aber in machen Bereichen werden wir sehen, dass manche stark von Transfers profitieren, andere aber schlechter dastehen.

„Wir sind nicht vom Sozialstaat abhängig“

Die Presse: Warum ist Umverteilung nötig?
Markus Marterbauer: Der Sozialstaat hat die Aufgabe, in verschiedenen Lebensphasen umzuverteilen, etwa von Beschäftigten zu Pensionisten oder zu Kranken. Der Staat fungiert als Versicherungssystem, von dem alle Bürger zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens profitieren.

Gibt es in Österreich eher eine Einkommensschere oder eine Umverteilungsfalle?
Marterbauer: Es gibt zwei Probleme in der österreichischen Verteilungspolitik. Die enorme Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen ist das eine. Die aufgehende Schere der Einkommen bei unselbstständig Beschäftigten das andere.

Werden also die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer?
Marterbauer: So plakativ würde ich das nicht formulieren. Aber die obersten 0,1 Prozent besitzen genauso viel wie die untere Hälfte der Bevölkerung. Zudem ist die Konzentration bei Finanz-und Immobilienvermögen enorm. Gleichzeitig geht die Schere zwischen besser verdienenden Angestellten und schlecht verdienenden Frauen auf.

Wird also zu wenig umverteilt?
Marterbauer: Wir haben negative Leistungsanreize, weil bei uns leistungslose Einkommen wie Erbschaften stark anwachsen. Andererseits steigen Einkommen aus Arbeitsleistung zu langsam. Das ist ein zentrales Problem! Ein zweites Problem besteht darin, dass die Einkommen der kleinen Leute, die vollständig für Konsumgüter ausgegeben werden, nicht steigen.

In Österreich sind mehr Bürger Transferempfänger als Transferzahler. Ein Grund zur Freude oder zur Sorge?
Marterbauer: Dieses Bild stimmt nicht. Die Bürger zahlen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einmal mehr in das System ein, zu anderen Zeitpunkten bekommen sie mehr heraus.

In keinem anderen Industrieland ist der Anteil der Sozialtransfers so hoch wie hierzulande...
Marterbauer: Wir haben einen gut ausgebauten Sozialstaat im Vergleich zu den Ländern Ost-und Südosteuropas. Der Sozialstaat in den skandinavischen Ländern ist aber aufgrund der sozialen Dienstleistungen besser ausgebaut als in Österreich und daher ein Vorbild.

Ist die Abhängigkeit vom Sozialstaat nicht besorgniserregend?

Marterbauer: Ich sehe keine Abhängigkeit vom Sozialstaat. Er ist vielmehr ein vernünftiges System der Absicherung gegen Risken.

(Die Presse, "Aufbrüche", 28.11. 2009)

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