Sozialsystem „schafft keinen Anreiz, die Leistung zu erhöhen“

(c) AP (Stephen Chernin)
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Wer wenig hat, bekommt viel vom Staat: Die Frage, ob Umverteilung leistungsfeindlich ist, sorgt für Zündstoff in der Koalition.

Wien (rie). Selten hat eine Studie für solche Schlagzeilen gesorgt wie die der Joanneum Research Forschungsgesellschaft über Transferleistungen in Österreich. Die Conclusio, dass sich nämlich ein Einkommensunterschied von fast 2000 Euro durch die Sozialleistungen des Staates auf 39 Euro pro Monat verringert, löste heftige politische Debatten aus – und dürfte in der SP/VP-Koalition noch für einigen Streit sorgen.

Denn für die ÖVP ist die Konsequenz aus der Untersuchung klar: Es müsse ein „Transferkonto“ geben, auf dem alle Einkünfte sowie sämtliche Sozial- und Transferleistungen aller Gebietskörperschaften aufscheinen, schlug Finanzminister und VP-Chef Josef Pröll vor. Was hinter der Idee steht, reichte VP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger in einem Interview nach: „Sozial kann nicht gleichbedeutend mit sozialistisch sein. Man muss prüfen, ob jede Transferleistung leistbar und notwendig ist.“


Für die SPÖ ist das der völlig falsche Ansatz. Man müsse vielmehr den Leistungsbegriff neu definieren, forderte SP-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas. „Was leistet jemand, der innerhalb von fünf Minuten Geld an der Börse macht und dafür nach einem Jahr gar keine Steuern zahlt, im Vergleich zu einer Mutter von drei Kindern, die zu Recht Familienbeihilfe bezieht und einen Anspruch auf einen kostenlosen Kindergartenplatz für ihre Kinder hat?“

Stein des Anstoßes ist ein Vergleich von drei Familien in der Studie. Ein Haushalt mit einem Bruttoeinkommen von 950 Euro erhält demnach etwa 2010 Euro an Transfers. Aufgrund des Verlustes bzw. der Einschleifung einkommensabhängiger Transfers erhält eine Familie mit dem doppelten Haushaltseinkommen (brutto 1900 Euro) noch 1600 Euro an Transferleistungen, eine mit 3800 Euro Haushaltseinkommen nur noch 587 Euro.
Das führt am Monatsende dazu, dass die Sozialleistungen die unterschiedlichen Einkommen fast ausgleichen: Rechnet man alle Transferleistungen hinzu, die die Familien von Bund, Land und Gemeinde erhalten können, hat die Familie mit einem Bruttohaushaltseinkommen von 1900 Euro nur um 39 Euro weniger zur Verfügung als die Familie mit 3800 Euro Einkommen. Die fast 3000 Euro Unterschied bei den Familien mit 950 bzw. 3800 Euro verringern sich auf 440 Euro.

SPÖ: Transparenz bei Profiten

Die Schlussfolgerung der Autoren: Aufgrund des Verlustes von Transferleistungen und der Erhöhung von Steuer- und Sozialversicherungsabgaben bestehe kein Anreiz, „die Leistung zu erhöhen und von Transfers unabhängig zu werden“. Vielmehr verkehre es sich sogar ins Gegenteil, wie das Beispiel mit dem Haushaltseinkommen von 1900 Euro brutto zeige: „Wenn das Einkommen um 50 Euro erhöht wird, verringert sich das Nettohaushaltseinkommen plus Transfers von 3215 Euro auf 3087 Euro. Eine Erhöhung des Einkommens um 50 Euro führt also zu einem Verlust von ca. 130 Euro.“

Ein Transferkonto würde helfen, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Viele Sozialleistungen seien immer mit dem Gefühl behaftet, ob es wirklich die Richtigen treffen, argumentierte Pröll und fügte bei einer Pressekonferenz fast literarisch hinzu: „Ein verantwortungsvoller Politiker kann auf Dauer nicht im Trüben fischen, wir müssen Klarheit in die Gewässer bringen, um effizienter zu sein.“ Das bedeute nicht Kürzungen, sondern „ein besseres Herangehen an politische Debatten“. Die werden von der ÖVP aber, siehe Kaltenegger, mit dem Blick auf Sparmöglichkeiten geführt werden.
Die SPÖ kann der Klarheit in den Gewässern durchaus etwas abgewinnen – allerdings bei Vermögenswerten und nicht bei Transferempfängern. „Die Gerechtigkeits- und Transparenzdiskussion setzt für die SPÖ bei Gewinnen, Profiten und Vermögenszuwächsen ohne Arbeitsleistung an, nicht bei der Unterstützung von Familien oder behinderten Menschen“, meinte SP-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter.

(Die Presse, "Aufbrüche", 28.11. 2009)

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