Raus aus der Schere, rein in die Falle

zu wenig Taschengeld wird ueberreicht
zu wenig Taschengeld wird ueberreicht(c) BilderBox (Bilderbox.com)
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Die Einkommensschere geht auf, aber über Transfers wird massiv umverteilt. Dieser Segen von oben kann sich rächen: Wenn zu viele am Tropf des Systems hängen, bleiben Ausgaben für die Zukunft auf der Strecke.

Wer die Schwächeren auf seinen starken Schultern trägt, den lieben die Götter – so wollen es die Mythen und Legenden. Aeneas flieht mit seinem Vater auf den Schultern aus dem brennenden Troja und darf dafür später Rom gründen. Christophorus trägt das Jesuskind über den Fluss und findet sich zum Dank als Riesenfresko auf tausenden Kirchenmauern wieder. Beide Helden haben eines gemein: Es hat sie wohl nie gegeben. Österreichs Leistungsträger aber schultern höchst real die Lasten der Schwächeren. Das „reichste“ Drittel zahlt 59 Prozent der Abgaben, erhält aber nur ein Viertel der staatlichen Leistungen.

Die wundersame Differenz hört auf den Namen Umverteilung. Auch sie wird freilich von Mythen und Legenden umrankt. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, tönt es aus der einen Ecke. Und aus der anderen: Wer die Umverteilungsmaschinerie allzu gut ölt, sorgt dafür, dass unser schönes Werkl aus dem Ruder läuft.
Aber jeder Mythos hat seinen wahren Kern. Am Anfang stehen aus eigener Kraft verdiente Primäreinkommen. Die Gesetze des Marktes gebieten, dass sie ungleich verteilt sind. Das ist auch notwendig, damit sich Leistung zum Wohle aller lohnt. Zugleich soll aber der soziale Zusammenhalt gewahrt bleiben, weshalb über Steuern und Transferleistungen umverteilt wird. So weit, so außer Streit. Stellt sich nur die Frage, ob der Staat dabei zu träge oder zu eifrig agiert.

Der Mythos der sinkenden Lohnquote

Hier haken die Streiter für mehr Umverteilung ein: Weil der Markt zu immer ungleicheren Einkommen führt, soll das Sozialsystem noch stärker gegensteuern. Gerne wird dabei eine sinkende Lohnquote in die Schlacht der Argumente geworfen. Haben sich Unternehmer und Finanzkapitalisten auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung bereichert? Tatsächlich ist der Anteil der Lohn- am Volkseinkommen seit 1995 um 6,5 Prozentpunkte auf knapp 57 Prozent gesunken.

Aber der unscharf „Unternehmensgewinne“ genannte  Rest enthält viele Teile, die vor allem Arbeitnehmern zu gute kommen: Zins- und Mieterträge, die Nutzung einer Eigentumswohnung, die Einkommen der Freiberufler und Pfuscher. Eine um diese Posten ergänzte „Einkommensquote“ von 83 Prozent wäre seit 1995 nur um einen knappen Prozentpunkt gesunken – und das lässt mit der steigenden Zahl an Pensionisten erklären.
Relevanter ist, dass die realen Durchschnittslöhne stagnieren oder leicht sinken. Das liegt aber nicht an schwachen Lohnabschlüssen, sondern an der Dynamik des Arbeitsmarktes. Maschinen ersetzten Hilfsarbeiter, was zu tun bleibt, wandert in Billiglohnländer. Zu Hause aber werden mehr qualifizierte Fachkräfte gebraucht. Dieser Effekt einer – insgesamt segensreichen – Globalisierung wird zum Problem, wenn nicht parallel dazu das Ausbildungsniveau deutlich steigt. Dann entsteht ein Überangebot an gering und eine Übernachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften – und in der Folge eine Einkommensschere.

Zudem steigt – erfreulicherweise – auch die Zahl der Beschäftigten. Die Neuen aber starten mit niedrigen Einkommen, vor allem dann, wenn es um Teilzeitjobs oder atypische Beschäftigungsverhältnisse geht. Davon gibt es immer mehr, was die Durchschnittslöhne drückt.

So wächst primär die Ungleichheit, die man mit dem „Gini-Koeffizienten“ auch messen kann (er liegt zwischen Null und eins – bei Null hätten alle gleich viel, bei Eins hätte einer alles und alle anderen nichts). Diese Maßzahl stieg von 1983 bis 2005 von 0,34 auf 0,37. Hier setzt die Umverteilung ein. In Österreich läuft sie freilich nur zu einem geringen Teil über die Mittelaufbringung des Staates, also über die Steuern und Abgaben.

Wenig Umverteilung über Steuern

Zwar wirkt die Einkommensteuer heftig progressiv, aber dieser Effekt wird abgemildert: ein wenig durch die Sozialversicherung mit ihrer Höchstbeitragsgrundlage, deutlich durch indirekte Steuern. Vor allem geht es hier um die Mehrwertsteuer – vor ihr sind alle Konsumenten gleich. In Summe liegt die Abgabenquote für das unterste Drittel der Nicht-Selbstständigenhaushalte bei 34 Prozent, für das oberste mit 37 Prozent nur wenig darüber.
Das aber ist nur der erste, kleine Schritt der rot-weiß-roten Umverteilung. Denn nun schüttet der Staat sein von den Steuerzahlern gefülltes Füllhorn über alle Bürger aus. Davon aber profitieren nun massiv die niedrigen Einkommensschichten. Zunächst durch Sachleistungen wie Schulen, Krankenhäuser, Polizisten oder Autobahnen. Denn sie stehen – spiegelbildlich zur Mehrwertsteuer, die alle trifft – allen Bürgern in gleichem Maße zur Verfügung. 

Unmittelbarer wirken die Geldtransfers, die den unteren Einkommensschichten in weit größerem Ausmaß zugute kommen als den oberen. Durch sie steigen die verfügbaren Haushaltseinkommen, die über die Kaufkraft entschieden, viel kräftiger an als die Primäreinkommen. Deren ungleiche Entwicklung wird sogar überkompensiert: Der Gini-Koeffizient der „Sekundäreinkommen“ nach Sozialtransfers ist  von 2000 bis 2005 leicht gesunken, von 0,268 auf 0,266. Damit hat Österreich einen der niedrigsten Werte in der EU, nur Schweden und Dänemark sind noch ein wenig egalitärer.
Ein schöner Erfolg, wie viele meinen, bleiben so doch der soziale Friede gewahrt, die Kriminalitätsrate niedrig und die allgemeine Kaufkraft gesichert. Der Preis dieses Kraftakts ist allerdings hoch. Denn in keinem anderen Industrieland sind die Bürger finanziell abhängiger vom Staat als in Österreich. Fast 37 Prozent ihrer verfügbaren Haushaltseinkommen werden den Österreichern vom Staat überwiesen. Damit schlagen die Alpenrepublikaner selbst die Schweden um Längen.

Politik für Transferempfänger

Diese Abhängigkeit wirkt in vielen Fällen auch eindeutig leistungsfeindlich, wie der unten stehende Artikel zeigt: Fällt bei einem steigenden Einkommen ein Teil der Transfers plötzlich weg und bleibt dann unterm Strich sogar weniger Geld übrig, fehlt jeder Anreiz, mehr zu arbeiten. 
Die Abhängigkeit ist freilich beiderseits. Betrachtet man nur die Einkommensteuer und die Geldtransfers, also jene Bereiche, um die der politische Verteilungskampf tobt, bleiben unter den Wahlberechtigten nur noch 30 Prozent Nettotransferzahler übrig. Um ihre Gunst müssen sich Politiker viel weniger bemühen als um jene Klientel, die an ihren Rockzipfeln hängt. Diese 70 Prozent werden – menschlich verständlich – ihre Transfers mit allen Mitteln verteidigen.
Was liegt da für Politiker – die auch nur Menschen sind – näher, als dort zu sparen, wo es nicht unmittelbar schmerzt: bei den Ausgaben für die Zukunft, für Bildung, Forschung und Infrastruktur. Dass aber zu wenig Geld für Bildung da ist, war schon eine Wurzel des Problems – es ist einer der Gründe für ungleichere Einkommen. Schon daran zeigt sich, dass nur diese Zukunftsausgaben die sozialen Transfers von morgen absichern können. Wenn sie fehlen, wird aus der Einkommensschere eine Umverteilungsfalle – und die generöse Umverteilung vom Segen zum Fluch.

(Die Presse, "Aufbrüche", 28.11. 2009)

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