Mögliches Autokartell: VW ruft Aufsichtsrat wegen Vorwürfe ein

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Vertreter der Unternehmen sollen sich seit mehr als zwei Jahrzehnten regelmäßig in Arbeitskreisen zu Absprachen getroffen haben. Die Betriebsräte von Daimler und VW sind in Sorge um Jobs in den Unternehmen.

Unter dem Druck der Kartellvorwürfe trommelt Volkswagen als erster betroffener deutscher Autohersteller den Aufsichtsrat zusammen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch habe das 20-köpfige Gremium für Mittwoch zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen, sagte ein Sprecher am Montag.

Dabei werde es um die am Wochenende bekannt gewordenen Vorwürfe illegaler Absprachen von VW, Audi, Porsche, Daimler und BMW in der Fahrzeugentwicklung gehen, sagte ein Insider. Die EU-Kommission hatte einen Bericht des "Spiegel" bestätigt, wonach sie dem Verdacht solcher Absprachen nachgeht. An der Börse gingen Autoaktien zu Wochenbeginn auf breiter Front auf Talfahrt: VW, Daimler und BMW waren mit Abstand die größten Verlierer im DAX.

Laut dem Magazin, das sich auf einen Schriftsatz von Volkswagen beruft, sollen sich Vertreter der Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten regelmäßig in Arbeitskreisen getroffen haben, um sich über die Technik ihrer Fahrzeuge sowie über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abzusprechen. Dabei soll es auch um die Abgasreinigung mit dem Zusatz von AdBlue und um die Größe der dafür nötigen Tanks gegangen sein. Letztlich sei damit auch die Basis für die Dieselmanipulation gelegt worden, unter deren Folgen die Hersteller derzeit ächzen.

Diesel-Gipfel Anfang August

Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre dies eines der größten Kartelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Experten rechnen mit milliardenschweren Strafen und befürchten einen weiteren Image-Schaden für die deutsche Autoindustrie, in der mehr als 800.000 Menschen arbeiten. Die Wettbewerbshüter haben nach eigenem Bekunden sehr wohl etwas gegen die Unternehmen in der Hand: Sowohl dem Bundeskartellamt als auch der EU-Kommission liegen Informationen "zu möglichen Absprachen im technischen Bereich zwischen deutschen Autoherstellern" vor, wie das Bundeskartellamt mitteilte.

Die Bundesregierung erklärte, die Kartellvorwürfe sollten auch Thema des Diesel-Gipfels Anfang August sein. Dann will die Branche über Wege zur Reduzierung der hohen Stickstoffbelastung beraten, um Fahrverbote in Städten zu verhindern. Mit dem Ergebnis der Beratungen steht oder fällt nach Einschätzung von Experten die Zukunft des in Verruf geratenen Diesel-Motors.

Absprachen unter Autobauern sind seit vielen Jahren bekannt. Die "5er-Runden", über die der "Spiegel" berichtet, sind schon seit längerem kein Geheimnis in der Branche. Der Begriff beschreibt Insidern zufolge, dass fünf Marken daran beteiligt waren. Bei den Treffen ging es Eingeweihten zufolge meist um technische Details, die nicht wettbewerbsrelevant gewesen sein sollen. Die Frage, die die Ermittler nun klären müssen, ist, inwieweit gegen Gesetze verstoßen wurde.

Staatsanwaltschaft bereits aktiv

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die bereits wegen des Dieselskandals von Volkswagen tätig ist, erklärte, sie prüfe wegen des Kartellvorwurfs eigene Untersuchungen. "Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung werden wir prüfen, ob ein neues Ermittlungsverfahren einzuleiten ist oder ein bereits laufendes Verfahren rechtlich erweitert wird", sagte eine Sprecherin der Nachrichtenagentur Reuters. Die Prüfung werde einige Tage dauern. Die Behörde ermittelt bereits seit fast zwei Jahren wegen unterschiedlicher Delikte in der Abgasaffäre gegen zahlreiche Beschuldigte bei Volkswagen. Gegen die VW-Tochter Audi ermittelt im Dieselskandal die Münchner Staatsanwaltschaft. Zu den möglichen Folgen des Kartellverdachts gegen die fünf Autohersteller für die Ermittler in München äußerte sich die Behörde nicht.

Die genannten Unternehmen schweigen zu den Kernvorwürfen. BMW wies lediglich den Vorwurf unzureichender Abgasreinigung zurück. In den Belegschaften macht sich inzwischen Angst um die Arbeitsplätze breit. Die Betriebsräte von Volkswagen und Daimler und die IG Metall forderten eine umfassende Aufklärung. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht verlangte Konsequenzen, ließ jedoch offen, wie diese aussehen könnten. Die weltweit mehr als 280.000 Beschäftigten von Daimler seien entsetzt und verärgert. "Sie machen sich sowohl um ihre Arbeitsplätze als auch um die Reputation des Unternehmens und der Branche große Sorgen", sagte Brecht. Arbeitsplätze dürften nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Mit einer ähnlichen Begründung hatte der VW-Betriebsrat bereits am Wochenende die Einberufung des Aufsichtsrats noch in dieser Woche gefordert.

Stöger will EU-weite Sammelklagen

Der Chef der österreichischen Wettbewerbsbehörde (BWB), Theodor Thanner, erklärte gegenüber der "ZiB" um 13 Uhr des ORF-Fernsehens Montagmittag, man verfolge den Fall aufmerksam. In Österreich gebe es rund zwei Millionen zugelassene Kfz dieser Unternehmen, hier könne es sein, dass Schaden für den Konsumenten entstanden sei.

Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) fodert am Montag einen raschen Ausbau der Konsumentenrechte auf nationaler wie europäischer Ebene. Er will eng mit den deutschen Konsumentenschützern zusammenarbeiten. Auch in Österreich könnten Verbraucher durch Preisabsprachen und ähnliche Verstöße zu Schaden gekommen sein. Wirksamer Schutz für Verbraucher sei "am besten durch Gruppenklagen möglich, die allen Geschädigten die Möglichkeit geben, ihre Rechte gegen multinationale Konzerne durchzusetzen", so Stöger in einer Aussendung und begrüßte einen entsprechenden Vorschlag der EU-Verbraucherschutzkommissarin Vera Jourova. "Das ist ein effektives Rechtsmittel für Einzelpersonen, das auch eine präventive Wirkung gegenüber Konzernen ausübt", meinte der Minister weiter.

(APA/Reuters)

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