Nur ein blaues Auge für die Autoindustrie

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GERMANY-AUTOMOBILE-DIESEL-POLITICSAPA/AFP/AXEL SCHMIDT
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Die deutschen Autohersteller versprechen der Politik, die Software an fünf Millionen bereits zugelassenen Diesel-Fahrzeugen zu verbessern. Sie tragen die Kosten. Teure technische Nachrüstungen bleiben ihnen – vorerst – erspart.

Berlin. Gipfeltreffen sind immer Inszenierungen. Drinnen und draußen. Also hängen die vier Aktivisten mit den grünen Helmen an ihren Seilen vom Dach des Verkehrsministeriums, das sie frühmorgens erklommen haben, und spannen ein Greenpeace-Transparent auf: „Willkommen in Fort NOx“. Ein Wortspiel. NOx ist das Kürzel für Stickoxid, jenes Reizgas, das die Luft in deutschen Städten wie Stuttgart verpestet und von Verbrennungsmotoren ausgestoßen wird. Unten vor dem Ministerium fahren Demonstranten Fahrrad und tragen Mundschutz. 

Der Gipfel zur Rettung des Diesels und Verhinderung von Fahrverboten in Städten wird spontan verlegt, die Konzernchefs mit den Kennzeichen der Autostädte wie S für Stuttgart fahren nun vor dem Innenministerium vor. „Nach dem Skandal verstecken sie sich auch noch“, empört sich eine Mutter, die ihren einjährigen Sohn im Kinderwagen vor sich herschiebt.Unter die Demonstranten mischen sich auch Anbieter von Katalysatoren. Sie wittern das große Geschäft, falls die Politik der Autoindustrie bei dem Dieselgipfel nicht nur Software-Updates, sondern auch Umrüstungen an der Hardware verordnet. So weit wird es nicht kommen.

Ein kleiner Sieg der Industrie

Denn Deutschlands wichtigste Branche kommt beim Nationalen Forum Diesel mit einem blauen Auge davon. Die versammelten Autobauer sichern zwar zu, auf eigene Kosten die Software für Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 nachzubessern. Ein Drittel der 15 Millionen Selbstzünder in Deutschland soll also in die Werkstatt – oder war das schon. In der Zahl sind 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge inkludiert, die bereits wegen des Dieselskandals Teil einer Rückrufaktion sind. VW, BMW und Daimler zahlen zudem in einen Fonds für „Nachhaltige Mobilität in den Städten“ ein. Und sie geloben, eine zusätzliche Prämie für den Umstieg von älteren auf neuere Diesel anzubieten.

Kostspielige Nachrüstungen an der Hardware bleiben der Branche aber vorerst erspart. Sofort drehen die Aktien ins Plus. Und sofort gibt es Protest von Umwelt- und Verbraucherschützern. Die Botschaft ist immer dieselbe, dass dieNOx-Grenzwerte mit Software-Updates allein nicht einzuhalten seien. Anette Stolle trägt ein Schild mit der Aufschrift „Dieselabgase töten“. „Pseudoentscheidungen“, nennt sie die Gipfelergebnisse. Stolle ist von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die mit ihren Klagen den Weg für Dieselfahrverbote in Stuttgart geebnet und nun Testergebnisse in Umlauf gebracht hat, wonach auch die neueste Generation Euro-6-Diesel Stickoxidgrenzwerte überschreite. Auf dem Gipfel fehlt die DUH „Der Klüngel wollte unter sich sein, ohne störende Zivilgesellschaft“, ätzt Stolle über das Treffen von Bund, Ländern und Autobauern. Ihre Organisation rechnet nun mit Fahrverboten.

Auftritt Alexander Dobrindt. „Richtig und gut“ nennt der CSU-Verkehrsminister das Gipfelergebnis. Der Staat wolle nun auch 250 Millionen Euro in den öffentlichen Verkehr investieren, zum Beispiel für die Umrüstung auf emissionsfreie Bus-Flotten. SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks spricht von einem ersten Schritt, deutet aber einen Konflikt an: Die Hersteller erklärten, durch die Software-Updates würde der NOx-Ausstoß im Schnitt um 25 bis 30 Prozent sinken; Hendricks besteht auf 30 Prozent. Es gebe eine „Lücke“. Die Ministerin hatte zuletzt die mangelnde Distanz zwischen Politik und Autobauern kritisiert.

Immer weniger Diesel-Käufe

Umfragen zufolge rümpfen die Deutschen spätestens seit den Kartellvorwürfen die Nase über die Nähe zwischen Regierung und Autoindustrie. Als Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, und Bayerns Horst Seehofer (CSU) staatliche Zuschüsse für den Umstieg auf moderne Diesel ins Spiel brachten, wurden ihnen prompt die Gewinne der Autokonzerne vorgerechnet. Aber es hängen eben auch 800.000 Jobs direkt an der Branche. Deutsche Dieselfahrer, also Wähler, fürchten den städtischen Dieselbann und den Wertverlust ihrer Autos, wo ihnen die Regierung mit ihren Förderungen doch immer den Selbstzünder nahegelegt hat. Angela Merkel, derzeit auf Urlaub und zur Klimakanzlerin stilisiert, braucht den Diesel, weil er weniger CO2 als ein Benziner emittiert. Doch die Deutschen machen einen Bogen um den Selbstzünder, die Neuzulassungen gingen im Juli um 13 Prozent zurück. Der Trend ist ein Benziner.

Wie so oft findet die deutsche Debatte ihren Weg nach Österreich. Die Grünen forderten nun einen rot-weiß-roten Dieselgipfel. Östereichs Automobilimporteure schlossen sich an. Es brauche Planungs- und Rechtssicherheit. 250.000 Jobs in Österreich seien „auf den Dieselmotor rückführbar“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2017)

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