Nordkorea kann mit seinen Massenvernichtungswaffen nicht nur die USA bedrohen, sondern auch von China Zugeständnisse abpressen.
Peking/Pjöngjang. Spannung abbauen, vorsichtig mit Worten umgehen, von Demonstrationen der Stärke absehen – diese Ratschläge hat die chinesische Führung für Nordkorea und die USA parat. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel bereiten der Führung der Volksrepublik sichtliches Unbehagen – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass China (zumindest nominell) immer noch als Verbündeter Nordkoreas gilt und das Regime von Kim Jong-un durch Handel und Öllieferungen am Leben erhält. Für die nuklearen Provokationen seines Schützlings hat Peking aber immer weniger Verständnis: So argumentierte die staatliche chinesische Zeitung „Global Times“ in ihrer Freitagsausgabe, die Volksrepublik solle Nordkorea nur dann helfen, wenn es von den USA und Südkorea angegriffen werden sollte, und sich sonst neutral verhalten.
Dafür, dass die Situation zuletzt derart eskaliert ist, trägt China allerdings auch die Mitschuld. In den vergangenen Jahren hielt es seine schützende Hand über Pjöngjang und verhinderte wirksamere Wirtschaftssanktionen im Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Atomwaffenprogramm. Nun ist dieses Programm derart weit fortgeschritten, dass sich Peking den Luxus der Unparteilichkeit nicht mehr lang leisten kann.
Nützlicher Stachel im Fleisch
Für die kommunistische Führung in Peking war das bitterarme, bis an die Zähne bewaffnete und mit eiserner Hand regierte Nordkorea ein nützlicher Stachel im Fleisch der Amerikaner: Der seit dem Waffenstillstand von 1953 eingefrorene Konfliktherd band die militärischen Kräfte der USA in Fernost, verhinderte eine Wiedervereinigung der Halbinsel unter Washingtons Ägide und fungierte zugleich als Puffer zwischen Chinas Landgrenze und der US-Einflusssphäre.
Kims Aufrüstungsprogramm hat dieses fragile Gleichgewicht wohl irreparabel beschädigt – was für China bereits jetzt negative Konsequenzen hat. Die erste unerwünschte Nebenwirkung war die Installation des US-Raketenabwehrsystems THAAD in Südkorea, dessen Radaranlage weit nach China hineinspähen kann. Angesichts der nordkoreanischen Raketentests stoßen Proteste gegen US-Spähstationen – wenig überraschend – auf taube Ohren. Ein deutlich größerer strategischer Schaden wäre die (bis dato nicht gefällte) Entscheidung Japans, angesichts der nordkoreanischen Bedrohung seine pazifistische Verfassung umzuschreiben und ein (atomares) Rüstungsprogramm zu starten – was dem Startschuss zu einem Rüstungswettlauf in Fernost gleichen würde. Auch in Südkorea werden mittlerweile Rufe nach einem eigenen Atomarsenal laut (siehe unten).
Weiteres Problem: Nordkorea kann mit seinen Atomwaffen nicht nur die USA, sondern auch seinen großen Nachbarn im Norden bedrohen und Zugeständnisse abpressen. Diktator Kim weiß, dass Peking nicht alle wirtschaftlichen Verbindungen nach Nordkorea kappen kann, ohne den Kollaps des Landes und eine offene Flanke zu riskieren. Insofern verwundert es nicht, dass in dem „Global Times“-Artikel davon die Rede ist, China werde sich jedem widersetzen, der am Status quo auf der koreanischen Halbinsel etwas ändern wolle. Die Krux: Die größte Gefahr für den Status quo ist momentan Chinas Schützling in Pjöngjang. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)