Fünf Frauen: Porträt einer Dekade

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Erderwärmung oder iPod? Tsunami oder Billigflieger? Wirtschaftskrise oder Facebook? Ein Jahrzehnt bedeutet für eine Zehnjährige nicht das Gleiche wie für eine 50-Jährige. Dementsprechend wird sich jede Generation an die Nullerjahre ein bisschen anders erinnern.

Was am Ende wirklich bleibt von den Nullerjahren, wird sich wahrscheinlich erst in naher Zukunft zeigen. Auf der anderen Seite hat gegenwärtig noch nicht die Fernverklärung eingesetzt. Aus diesem Grund bat „Die Presse am Sonntag“ die Vertreter von fünf Lebensaltern um einen persönlichen Rückblick auf das erste Jahrzehnt des Jahrtausends. Da diese Dekade – wie auch jene davor – vor allem männlich geprägt war, soll diesmal das Lebensgefühl aus weiblicher Sicht gezeigt werden.

10Von einem Kernthema der Nullerjahre hat Hannah, geboren am 7.Juli 1999, bereits genug: von der Erderwärmung. „Es ist unangenehm, wenn man das dauernd hört“, sagt sie. „Das weiß man doch schon. Außerdem haben wir eh kein Auto.“ Angst hat sie keine besondere davor. Überhaupt nicht vor „realistischen Gefahren“, außer vor Hunden. Da schon eher vor Räubern („obwohl mein Papa jeden Abend die Türen verriegelt“). Und bis vor Kurzem auch vor Vampiren. Nur über das Thema „Amoklauf“ hat sie mit ihrer Mutter ziemlich lange geredet: „Aber die hat mich überzeugt, dass die Chance dafür 1:900 Millionen oder so ist.“

Die digitalen Errungenschaften der Nullerjahre sind für Hannah so selbstverständlich, dass sie sie ganz cool nehmen kann. Computerspiele interessieren sie gar nicht so sehr („früher schon, jetzt weniger“), sie sieht lieber fern. Und liest. Aber nicht Harry Potter, denn der ist auch ziemlich zum Fürchten. Trauriges ist da schon besser: „Die Brüder Löwenherz“ oder „Die unendliche Geschichte“. „Ich lese nicht das, was alle lesen“, sagt sie. „Ich bin auch nicht so wie die anderen“, sagt sie. „Ich mag das zum Beispiel nicht, wenn man zu allen sagt: ,Willst du meine Freundin sein?‘.“ Also keine Kandidatin für Facebook.

iPod hat sie keinen („ich singe lieber“), wohl aber ein Handy, wenn auch erst seit Kurzem. „Das habe ich mit zehn bekommen, weil ich jetzt einen längeren Schulweg habe.“ Ihre Schwester, 6, hat keines. Und Wünsche? „Phhewww, Wünsche...“ Eine schwierige Frage. „Dass ich mal vom Drei- oder Fünfmeterbrett springen kann. Das habe ich noch nicht gemacht“, sagt Hannah. „Und einen Kuschelarm.“ Und dass sie jetzt zu ihrer Schwester spielen gehen kann.

20„Die Welt ist ein Dorf“, sagt Magdalena Fellner, „jetzt immer mehr“. Spätestens seit ihrem Austauschjahr in Mexiko, wo sie ein Jahr lang in die Schule ging, ist ihr das bewusst. Der Freundeskreis der 20-Jährigen erstreckt sich über den gesamten Globus – und mit Facebook und Skype bleibt sie mit allen in Kontakt. Das wäre früher so nicht möglich gewesen, meint sie. Es war genau im Jahr 2000, als sie ihre ersten eigenen E-Mail-Adressen einrichtete und so Bewohnerin des globalen Dorfes wurde.

Überhaupt spielt Kommunikation für ihre Generation eine besonders wichtige Rolle. Anfangs noch zaghaft, als sie mit 13 Jahren ihr erstes Handy bekam – das sie mit ihrer Schwester teilen musste: „Das war noch eher zum Herzeigen.“ Doch spätestens mit einem All-inclusive-Vertrag mit 1000 SMS läuft ohne Handy nichts mehr.

Pichl bei Wels, das Dorf, in dem sie aufwuchs, hat sie mittlerweile verlassen. Und die Welt für sich entdeckt – Gymnasium in Wels, Studium in Wien und viele Reisen. Reisen, die sie mit einem Job – neun Stunden pro Woche als Sekretärin bei einer Bank – finanziert. Diese Auslandsaufenthalte, vor allem das Jahr in Mexiko, haben sie besonders geprägt. „Man betrachtet die eigene Kultur dann viel distanzierter.“

An große Ereignisse, die sie in den Nullerjahren geprägt haben, erinnert sie sich kaum. Als die FPÖ 2000 in die Regierung kam, habe sie zwar von ihrem Vater gehört, dass das schlecht sei– aber nicht verstanden, warum. „Jetzt weiß ich es.“ Auch bei 9/11 sei sie noch zu jung gewesen. – „Ich habe die Bilder gesehen, aber betroffen hat es mich nicht.“ Wenn es eine prägende Erfahrung gab, dann die Wirtschaftskrise. „Da bekomme ich voll mit, welche Veränderungen das mit sich bringt.“

30„Vom Weltgeschehen her war das letzte Jahrzehnt für mich bestimmt das wichtigste, das liegt aber an meinem Alter“, sagt Barbara Würstl. Immerhin war die 30-Jährige in ihren ersten zehn Jahren „nur Kind“ und in den zweiten mit der Schule beschäftigt. Was sie in den Nullerjahren am meisten beeinflusst hat, war jedoch kein weltpolitisches Ereignis, sondern die Technik. „Ohne Handy und Internet wäre mein Job nicht möglich und mein Alltag anders“, sagt Würstl, die in einer Medienagentur arbeitet und ihr erstes Mobiltelefon mit 20 erwarb.

Bewegt haben sie Naturkatastrophen. „Das hat mich wirklich beschäftigt, weil der Mensch darauf keinen Einfluss hat.“ Vom Hochwasser über den Tsunami bis zum Hurrikan Katrina. „Genauso wie bei Krankheiten. Da gibt es dann 7000 Expertenmeinungen, und man fragt sich: Soll ich das glauben?“

Zwei politische Ereignisse sind ihr positiv in Erinnerung. „Dass Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin wurde und Barack Obama US-Präsident, da dachte ich mir schon, wir werden fortschrittlicher, es geht voran.“ Mit der Einschränkung, dass beide Personen in fortschrittlichen Ländern an die Macht kamen – und das relativ spät. Daran wurde die Niederösterreicherin unlängst bei einem Besuch im Kindermuseum erinnert. „Das Thema der Ausstellung war Fliegen, und ich habe den Hinweis gelesen: ,Übrigens: Die erste Pilotin der AUA startete im Jahr 2001‘. Das ist doch Wahnsinn, ich dachte, wir leben im 21.Jahrhundert.“


Silvester 2000. Und persönlich? „Persönlich bin ich erwachsen geworden: Ich habe geheiratet, einen Grund gekauft und mich nebenbei mit einem Onlineshop selbstständig gemacht, wobei das alles rund um meinen 30er passiert ist.“ Davor war natürlich die erste eigene Wohnung dran, dann die zweite, das abgeschlossene Publizistikstudium und der erste richtige Job mit 24, den sie heute noch ausübt.

War sonst noch was? „Ja. Silvester 2000, wo wir alle vorher dachten, wir sind dann erwachsen und feiern bei einer schicken Cocktailparty. Natürlich haben wir genauso gefeiert, wie wir es heute auch noch tun. Und die Euro-Einführung, weil ich damit persönlich zu tun hatte, im Gegensatz zur Osterweiterung, die ist mir kaum aufgefallen.“ Und die österreichische Innenpolitik? „Absolut nicht.“

40Brüssel–Wien–Berlin–Wien: Für Ortrun Gauper war die erste Hälfte der Nullerjahre geprägt von den Dingen, die sie ebenso sehr liebt, wie sie sie gut kann: reisen, arbeiten, vernetzen, Dinge bewegen und erleben. „Für mich zählte Internationalität, für mich zählte Individualität, für mich zählte Karriere“, sagt Gauper, die am 13. August 2009 ihren 40. Geburtstag feierte.

Die Nullerjahre boten ihr das perfekte Forum, die Welt wurde immer kleiner: „Ich steh auf die Globalisierung, trotz aller Probleme“, sagt Gauper. „Ich sehe da auch viel Positives. Auch wenn ich zwölf Jahre lang für die Gewerkschaft gearbeitet habe.“ Sie mag Mobilität, sie mag den Austausch mit neuen Kulturen – und fand, das ging nie leichter als in den Nullerjahren. Mit einem Wermutstropfen: „Kurz nach den Anschlägen vom 11. September musste ich nach Katar fliegen. Da hatte ich schreckliche Angst.“

Doch das ist, wie gesagt, nur die eine Hälfte der Geschichte. Das Ende der Nullerjahre erlebt Gauper in einer ganz anderen Atmosphäre. „Die Krise hat dazu geführt, dass ich mit Familie und Freunden enger zusammenrücke“, meint die Lobbyistin, die heute für Pleon Publico tätig ist. „Wenn mir jemand im Jahr 2000 gesagt hat, dass er seinen Job verloren hat, war meine Antwort: ,Na, dann such dir halt einen neuen.‘ Heute gibt man mehr auf die Leute acht, die einem nahestehen. Es fühlt sich zum Teil an wie ein neues Biedermeier.“


„Männliche Nullerjahre“. Dass sie mittlerweile Mutter eines fünfjährigen Mädchens ist, habe ihre Sichtweise natürlich auch verändert. „Ich erlebe einen neuen Trend zu Solidarität und Austausch auf einer ganz praktischen Ebene. Man hilft einander.“ Das gelte nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer, bei denen sie mehr „Loyalität und Handschlagqualität“ ortet – Eigenschaften, die in den „sehr männlich dominierten Nullerjahren“ durchaus nicht immer gang und gäbe waren.

Die technischen Entwicklungen sind für die gebürtige Steirerin hingegen „eine totale Bereicherung“ – trotz einer gewissen „Getriebenheit“, die sie bringen. „Das Internet hat viel verändert“, sagt sie. „Sogar mein Vater, der jetzt 80 ist, nutzt es mit Begeisterung.“ Sie selbst kann sich das Leben ohne ihr Blackberry kaum mehr vorstellen: „Ich schau die ganze Zeit drauf, es liegt neben meinem Bett, ich drehe es nie ab.“

50Michaela Kandler, geboren am 1.November 1959, liegt voll im Trend der Nullerjahre: Die Pädagogin, die in einem Lern- und Freizeitklub in Wien arbeitet, hat ein Handy, aber kein Festnetz; sie besitzt zwar einen Fernseher, schaut aber, wenn überhaupt, DVDs. Und dennoch empfindet sie die digitale Entwicklung des letzten Jahrzehnts als eine Trennung zwischen den Generationen. „Das liegt aber vielleicht auch an mir. Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen und habe insgesamt nicht sehr viel Interesse an diesen Dingen. Mir fehlt auch die Leichtigkeit, einfach herumzuprobieren.“ Obwohl sie gerne reist, gilt dasselbe für Billigflieger: „Ich finde Fliegen schon so schlimm genug.“

Mehr interessiert sie da schon die wachsende Unsicherheit, die sie bei vielen ihrer Freunde und Bekannten ortet, die sinkende soziale Verantwortung, die Gier und der Neid. „Die Angst hat zugenommen.“ Allerdings nur die beobachtete, nicht die gefühlte. „Ich habe in den letzten Jahren für mich einige Befreiungsschläge gesetzt, habe einige persönliche Ängste überwunden. Ich empfinde das Leben rund um mich heute zwar als schwerer, ich selbst finde es aber leichter.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2009)

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