Brexit: Richtungsstreit in der britischen Regierung

Außenminister Boris Johnson gab Durchhalteparolen für die Brexit-Verhandlungen aus, bevor noch May auf die EU-Partner zugehen konnte.
Außenminister Boris Johnson gab Durchhalteparolen für die Brexit-Verhandlungen aus, bevor noch May auf die EU-Partner zugehen konnte. (c) REUTERS
  • Drucken

Der britische Außenminister Boris Johnson hat Premierministerin Theresa May bei ihrem Schwenk zu einem moderaten Kurs desavouiert.

London. Streit bei den britischen Konservativen, das ist für die politische Berichterstattung aus Großbritannien die Entsprechung dessen, was Regen für den Wetterbericht ist: so häufig, dass er oft gar nicht mehr bemerkt wird. Dieser Tage aber sprechen Tory-Insider von einem „offenen Bürgerkrieg“ in der konservativen Partei, nachdem Außenminister Boris Johnson mit einer Intervention zum Brexit Premierministerin Theresa May wenige Tage vor einer massiv gehypten Rede zu diesem Thema in den Rücken gefallen ist. „Johnson sucht die offene Provokation“, sagte ein Minister unter dem Schutz der Anonymität.

Er tut dies, indem er sich als Stimme der Brexit-Hardliner positioniert. So griff er in einem Zeitungsartikel am Wochenende auf die – längst als unrichtig entlarvte – Propagandalinie der EU-Gegner vor dem Referendum im Vorjahr zurück: „Wenn wir erst einmal unsere Rechnungen beglichen haben, werden wir volle Kontrolle über unsere 350 Millionen Pfund in der Woche zurückbekommen.“ Dazu wählte er noch das Pathos stimmungsvoller Durchhalteparolen: „Sie glauben, dass wir verzweifeln werden wie Kleinkinder, die sich verlaufen haben. Ich aber sage euch, dass dieses Land machtvoll triumphieren wird.“

Johnsons Ansage wurde in weiten Kreisen der Partei als offene Kampfansage gegen die Regierungschefin aufgenommen: Eine „selbstgerechte und illoyale Selbstinszenierung“, warf Will Tanner, ein früherer May-Berater, dem Außenminister vor. Es wird allgemein erwartet, dass die Premierministerin am Freitag bei ihrer Rede in Florenz eine Reihe von Zugeständnissen an die EU in Aussicht stellen wird, nachdem die bisherigen Brexit-Verhandlungen völlig verfahren sind.

So gelten Übergangsfristen von bis zu drei Jahren nach dem Brexit mittlerweile als Regierungslinie. Zudem soll London auch zu Zahlungen an die EU bereit sein, um bestehenden Verpflichtungen nachzukommen. Beides bedeutet einen Sieg im Kabinett der moderaten Kräfte um Schatzkanzler Philip Hammond. May schien zuletzt ebenfalls in diese Richtung zu tendieren.

Rausschmiss wenig wahrscheinlich

Um Johnson wegen seiner offenen Provokation hinauszuwerfen, ist die Tory-Chefin aber offenbar zu schwach. Mays Stellvertreter Damian Green schloss eine Entlassung des Agent Provocateur aus, ein Kabinettskollege meinte: „Damit würden die Probleme nur noch größer werden.“ Johnson würde sich dann wohl noch mehr als Lord Siegelbewahrer der reinen Brexit-Lehre in Szene setzen – und könnte auf breite Zustimmung aus dem Bauch der Partei zählen.

Denn die Basis liebt Boris. Und ein gutes Aperçu zählt mehr als pragmatische Vernunft. Die Briten leisten sich einen „politischen Scherz“ („The Times“) als Außenminister, weil sie ihre Politiker generell für verantwortungslose Exzentriker halten: David Cameron verspielte die EU-Mitgliedschaft in einer fehlgeschlagenen Wette, Nigel Farage erklärte einen Tag nach dem Brexit-Votum: „Ich will mein Leben zurück“, und bezeichnenderweise ist heute mit Jacob Rees-Mogg ein politischer Irrläufer als Tory-Chef im Gespräch, dessen Charme darin besteht, dass er in den Medien des 21. Jahrhunderts Positionen des 18. vertritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Die britische Premierministerin bei ihrer Grundsatzrede in Florenz.
Europa

Brexit: May signalisiert zaghaftes Einlenken

In einer Grundsatzrede in Florenz gab sich Premierministerin Theresa May zwar zu den Austrittsbedingungen kompromissbereit, mahnte aber selbiges von den EU-Partnern ein.
Theresa May bei ihrer Rede
Europa

Theresa May will zusätzliche Übergangsphase nach Brexit

London geht bei Streitpunkten wie Status der EU-Bürger im Land, Zuständigkeit des EU-Gerichtshofs und Geldbeiträgen nach dem Brexit auf Brüssel zu. Es soll nach dem März 2019 eine zweijährige Übergangsphase geben, in der sich wenig ändert.
Kommentar

Theresa Mays Florentiner Desaster

Zu wenig für die EU, zu viel für die Brexitollahs.
Thomas Wieser (rechts im Bild).
Europa

Brexit: "So europäisch haben sich die Engländer seit Jeanne d'Arc nicht mehr gefühlt"

Der Brexit lasse bei vielen Briten die Zuneigung zu Europa erwachen, meint der Koordinator der Eurogruppe Thomas Wieser.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.