Analyse. Im Zweifel gegen die FPÖ: In den großen Städten, vor allem in Wien, wechselten viele Grün-Wähler zur SPÖ. Für die Wiener Roten ist das nur kurzfristig ein Grund zur Freude.
Wien. Taktisch wählen ist ethisch betrachtet keine Glanzleistung. Der in St. Gallen lehrende Philosoph Dieter Thomä hat das bei der Bundestagswahl im Deutschlandfunk schlüssig erklärt: Wer eine Partei wählt, nicht, weil er sie für die beste hält, sondern weil er eine bestimmte Koalition herbeiführen oder verhindern will, sieht Parteien bloß als Mittel zum Zweck und sagt über sich selbst auch nichts Gutes, nämlich: Dass ihm oder ihr Inhalte egal sind. Und man darf sich auch nicht auf Verantwortungsethik ausreden. Denn die greift nur, wenn man die Folgen seines Tuns kennt. Was bei Wahlen nicht der Fall ist: Weder weiß man, wie andere wählen, noch wie die Parteien verhandeln. Der Wahlschein, so Thomä, wird damit zum Wettschein. Wer taktisch wähle, handle fahrlässig. Punkt.
Nicht so streng ist der Wiener Literat und Philosoph Franz Schuh. Er selbst ist zwar überzeugter Überzeugungswähler, aber: „Ich bin dagegen, dass hier eine politische Korrektheit errichtet wird, die das Taktischwählen tabuisiert.“ Denn in einer Welt, die generell aus Berechnungen und Prognosen bestehe und in der wir alle ständig gemessen werden oder wir uns selbst – ob in Likes oder gelaufenen Metern – vermessen, sei es seltsam, gerade den Wahlvorgang aus diesem omnipräsenten statistischen Spiel auszunehmen.