Deutschklassen: 20 Stunden Deutsch pro Woche

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Semesterweise sollen Schüler in die regulären Klassen umsteigen können. Beim Budget hält man sich noch bedeckt.

Wien. Wer meine, es sei eine Ghettoisierungsmaßnahme, der habe das Prinzip nicht verstanden, sagte Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), als er erklärte, wie einer der meistdiskutierten Punkte im Regierungsprogramm umgesetzt werden soll: die Deutschklassen – oder, wie sie offiziell heißen sollen, Deutschförderklassen. Schüler, die nicht gut genug Deutsch sprechen, sollen künftig bis zu 20 Stunden pro Woche separat gefördert werden. Sobald sie die Deutschförderung erfolgreich absolviert haben, sollen sie voll in die regulären Schulklassen einsteigen. Dabei hätten teilweise auch die schon bestehenden Sprachstartklassen Pate gestanden, meinte Faßmann. Man müsse das Rad ja nicht neu erfinden – aber man wolle dafür sorgen, dass es besser laufe. Die wichtigsten Neuerungen.

Wie sollen diese neuen Deutschförderklassen genau aussehen?

Schüler, die nicht ausreichend Deutsch können, müssen ab Herbst 15 (Volksschule) bis 20 (Neue Mittelschule/Unterstufe) Wochenstunden in einer eigenen Deutschförderklasse Deutsch lernen. Dafür soll es einen eigenen Lehrplan geben, der auf den Deutscherwerb fokussiert. Für Fächer wie Zeichnen oder Turnen werden die Kinder dann altersgemäß den normalen Regelklassen zugeteilt.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zur derzeitigen Förderung?

Das neue Fördermodell ähnelt den derzeitigen Sprachstartgruppen, die aber ausgeweitet werden: Bei mindestens acht Kindern können sie derzeit bis zu elf Stunden pro Woche aus den Klassen genommen werden. Künftig muss ab sechs Kindern pro Schulstandort verpflichtend eine Deutschförderklasse aufgesperrt werden, in der die Schüler rund zwei Drittel all ihrer Schulstunden verbringen. Die bisherige Option, Schüler mit Deutschdefiziten wahlweise integrativ in der Regelklasse zu fördern, fällt weg – außer, wenn an einer Schule weniger als sechs Schüler Förderung brauchen. Einstufung und Umstieg werden einheitlich gestaltet.

Wann kommen Schüler in diese eigenen Deutschklassen?

Diese Klassen besuchen Schüler nach einem neuen, landesweit einheitlichen Sprachtest. Dieser wird nicht bei allen Schülern durchgeführt, sondern nur, wenn der Schulleiter bei der Schuleinschreibung oder beim Quereinstieg eines älteren Schülers Defizite feststellt. Im Bildungsressort geht man davon aus, dass rund 32.500 Schüler die Extradeutschförderung brauchen, darunter rund ein Viertel aller Schulanfänger. Zuletzt gab es rund 40.000 außerordentliche Schüler. Mit einem standardisierten Test sei man treffsicherer. Wie dieser aussehen soll, ist noch nicht ganz klar.

Wie lang müssen die Schüler in diesen eigenen Klassen bleiben?

So kurz wie möglich, meint Faßmann – mindestens aber ein halbes Jahr, maximal zwei Jahre. In die normale Klasse einsteigen können Schüler nach jedem Semester, wenn sie einen standardisierten Sprachtest bestehen. Ob sie in die Klasse kommen, in die sie altersmäßig gehören, oder in eine niedrigere, kann separat mit einem Test überprüft werden. In Berlin, wo es sogenannte Willkommensklassen gebe, seien 50 bis 60 Prozent der Schüler nach einem Semester fit genug. In der normalen Klasse sollen sie dann weitere sechs Wochenstunden integrativ gefördert werden. Wie gut das Deutsch für den Umstieg sein muss, ist eine zentrale Frage.

Wie viel kostet das – und wie viele Lehrer braucht man dafür?

Wie viel das neue Modell kosten wird, dazu wollte der Minister nichts Konkretes sagen: Man baue auf den Integrationstopf (80 Millionen Euro); ein wenig teurer werde es jedoch. Es sei finanzierbar – man müsse aber mit dem Finanzminister darüber sprechen. Laut Schätzung braucht es österreichweit 320 neue Klassen und 300 neue Lehrer. Gerechnet wird dabei mit einem Schnitt von 17 Schülern pro Klasse – wie viele es tatsächlich sind, ist ein weiterer wichtiger Punkt. In Wien befürchtet man große Klassen mit bis zu 25 Schülern, was prinzipiell möglich ist.

Wie sind die Reaktionen auf das nunmehrige Deutschklassenkonzept?

Der Koalitionspartner FPÖ spricht von einem Meilenstein. Die Grünen und die Liste Pilz kritisieren die Trennung der Kinder, die Neos reagieren vorsichtig positiv. Anfreunden mit dem Modell kann sich SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid: Ihrer Meinung nach hat Faßmann mit der Sprachförderung ohne strikte Trennung den von Kanzler und Vizekanzler propagierten Ghettoklassen eine Absage erteilt. Die Frage sei aber das Geld.

Auf einen Blick

Deutsch. Künftig lernen Schüler mit Deutschdefiziten 15 bis 20 Stunden in eigenen Klassen Deutsch. In den übrigen (sieben bis zehn) Stunden sollen sie mit den regulären Klassen turnen, werken oder zeichnen. Jedes Semester können die Schüler in die andere Klasse umsteigen, wenn sie beim Sprachtest gut genug abschneiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Deutschklassen: Aufsteigen nur ausnahmsweise

Wer in der ersten Schulstufe eine Deutschförderklasse erfolgreich absolviert, steigt nicht in die zweite Klasse auf, sondern muss zunächst das reguläre erste Jahr wiederholen.
Schule

Ministerrat beschließt Deutschklassen: "Keine Ghettoschulen"

Schüler mit Deutschdefiziten sollen künftig 15 bis 20 Stunden pro Woche in eigenen Förderklassen lernen. Schützenhilfe erhält der Bildungsminister von der Außenministerin.
Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) besuchte nach der Präsentation der Deutschklassen eine Volksschule in Graz.
Schule

Deutschklassen: „Nicht so schlimm wie befürchtet“

Sprachtests vor Schuleintritt und mehr Deutschstunden: Sprachwissenschaftler erklären, was an dem neuen türkis-blauen Modell positiv ist – und was problematisch.
Leitartikel

Straight outta Ghettoklasse

Nicht alles, was im Ansatz nach Diskriminierung aussieht, ist es in Wirklichkeit auch. Letztlich sollten eigene Deutschlernklassen allen Beteiligten nützen.
Schule

Deutschförderklassen kommen ab Herbst

Schüler sollen 15 bis 20 Stunden pro Woche Deutsch lernen - die übrigen Stunden verbringen sie mit anderen Schülern. Rund 30.000 Schüler sind betroffen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.