Kommentar

Wenn der Schlepper-Markt über die Staatsmacht siegt

So wie der Drogenmarkt belegt auch der Schleppermarkt, dass es Fälle gibt, in denen einem Markt Grenzen gesetzt weden müssen, sonst unterwandert er Staaten, Demokratien und Rechtssysteme. Ist er zu groß geworden, reichen restriktive Maßnahmen nicht aus. Es müssen auch Gegenangebote entworfen werden.

Warum sind Schlepper so erfolgreich? Warum finden sie ständig neue Wege, Menschen, die vor Krieg, Armut oder Klimaveränderung fliehen, nach Europa zu bringen? Weil es dafür eine immense Nachfrage gibt. Jede Nachfrage produziert ein Angebot. Und mit Verzweiflung ist noch immer ein gutes Geschäft zu machen. Was Europa derzeit erlebt, ist ein Wettbewerb um die Befriedigung von Zukunftsängsten. Wobei die Schlepper, die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen eine neue Zukunft in Europa versprechen, mit ihrer marktwirtschaftlichen Herangehensweise derzeit die Nase vorne haben. Politiker, die in Aussicht stellen, sie könnten diesen Zuzug abstellen, sind ins Hintertreffen geraten. Sie haben kein Gegenangebot, sondern nur staatliche Regelwerke, die das Problem reduzieren, aber nicht lösen können.

Das Schlepperwesen ist ein gutes Beispiel dafür, wie gewaltig die Kraft des Marktes ist. Es geht nicht um Moral, es geht um Angebot und Nachfrage. Es geht um Geschäfte im gegenseitigen Interesse. Afrika ist dafür ein guter Platz, weil in vielen Ländern des Kontinents der staatliche Einfluss nicht funktioniert. Es gibt kaum Kontrollen, wenig Regeln, aber dafür sehr viele Kunden. Eigentlich ein Eldorado für wirtschaftsliberale Fanatiker.

Der Markt, der in Europa Wohlstand und Wachstum gebracht hat, ist die Basis, ohne die die EU nicht funktionieren würde. Er existiert natürlich auch in anderen Erdteilen. Und gerade die Beispiele Drogenhandel, Menschenhandel und Schlepperwesen zeigen, dass er von sich aus nicht zwischen sauberen und schmutzigen Geschäften trennt.

Die Schlussfolgerung ist einfach: Jeder Markt braucht auch Regeln und Einflussmöglichkeiten. Es ist notwendig Freiheiten zu schaffen, damit Geschäfte florieren. Aber es ist auch notwendig, Grenzen einzuziehen - und damit sind nicht nur die Außengrenzen der EU gemeint. Will der Staat nicht kapitulieren, muss er Wege finden, unmoralische Märkten einzudämmen. Zu glauben, das gelingt allein mit Gesetzen und Wachpersonal, ist naiv. Wenn die Nachfrage eine gewisse Größenordnung erreicht hat, spielen Restriktionen keine erhebliche Rolle mehr. Es wird immer ein Weg gefunden werden, aus dieser Nachfrage ein Geschäft zu machen.

Umgelegt auf die europäischen Staaten kann das nur bedeuten, dass mehr Grenzpolizisten, höhere Zäune und eine abschreckende Behandlung von Migranten das Problem des Schlepperwesens nicht lösen wird. Der Markt ist zu stark geworden, um allein auf diese Weise eingedämmt zu werden. Es muss auch auf die massive Nachfrage reagiert werden. Entweder, indem legale Möglichkeiten geschaffen werden, die das gefährliche Angebot der Schlepper weniger attraktiv machen. Oder, indem diesem Schleppermarkt die Grundlage entzogen wird: also die Lebenssituation in den Herkunftsländern verbessert wird.

Märkte zu beeinflussen, das wissen gerade die geschäftstüchtigen Europäer, bedeutet, an der richtigen Stelle zu investieren. Wer nur passiv reagiert, sich zurückzieht, hat schon verloren.

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