Gusenbauer: "Maßnahmen waren kontraproduktiv"

(c) Michaela Bruckberger
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Der damalige SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer übt nachträglich Kritik an den Sanktionen der EU-14, relativiert die Wende und sein „Champagnisieren“ in Paris.

„Die Presse“: Am 31. Jänner 2000 wurden diplomatische Maßnahmen gegen Österreich ergriffen. Haben Sie Freude über die Solidarität aus den 14 anderen EU-Ländern empfunden oder haben Sie geahnt, dass schwierige Zeiten auf Sie zukommen?

Alfred Gusenbauer: Zum einen war das natürlich für die SPÖ ein Schock, nach so langer Zeit erstmals nicht in der Regierung zu sein. Wobei das eben normal in der Demokratie ist, dass eine Ära einmal zu Ende geht. Das hat man als Demokrat zur Kenntnis zu nehmen. Zum anderen hatte ich bei diesen Maßnahmen schon ziemlich am Anfang ein schlechtes Gefühl. Das kommt in Österreich nicht gut an, wenn jemand glaubt, er kann sich von außen einmischen.

Es wurde der SPÖ-Führung, aber auch Bundespräsident Klestil vorgeworfen, diese Sanktionen angezettelt zu haben. Der dänische Premier Rasmussen hat in einem Parlamentsausschuss von einem „Hilferuf aus Wien“ gesprochen, auf den man reagiert habe. Hat das einen wahren Kern?

Gusenbauer: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich damals nicht Akteur war. Ich war Anfang 2000 niederösterreichischer Landessekretär und Nationalratsabgeordneter. Das ist ja alles auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gelaufen.

Die Sanktionen sollten sich eigentlich gegen eine ganz bestimmte Regierung richten. Interpretiert wurden sie in großen Teilen der Bevölkerung aber als Sanktionen gegen ein ganzes Land.

Gusenbauer: Das war natürlich auch die Absicht der schwarz-blauen Regierung. Sie hat gesehen, dass das eine große Chance für sie ist. Sie hatte zwar eine parlamentarische Mehrheit, aber doch keine wirklich große öffentliche Legitimation. Indem man ganz Österreich in Geiselhaft genommen hat, wurde versucht, eine Verbindung zwischen Regierung und Bevölkerung herzustellen, die vorher nicht vorhanden war. Zum Zweiten wurde diese Vorgangsweise auch durch das Verhalten einzelner Politiker in Europa erleichtert. Erinnern wir uns nur an diese unsägliche Aussage des belgischen Außenministers ...

Sie meinen Louis Michel.

... der dann gesagt hat, man soll nicht nach Österreich zum Skifahren kommen. Das waren völlige Unsinnigkeiten. Das war Wasser auf die Mühlen jener, die behauptet hatten, diese Maßnahmen richteten sich nicht gegen eine Regierung, sondern gegen ganz Österreich.


Mit den Sanktionen sollten die erstarkten Rechten in die Schranken gewiesen werden. Aber haben sie nicht eher einen nationalistischen Backlash ausgelöst?

Gusenbauer: Ja, sie haben zu einem nationalistischen Backlash geführt. Die damals handelnden EU-14 sind einer völligen Fehleinschätzung aufgesessen. In Wirklichkeit haben sie einen Beitrag zur Stabilisierung jener geleistet, die sie eigentlich bekämpfen wollten. Es hat ziemlich lange gebraucht, ihnen zu erklären, dass das nichts bringt. Außerdem war Europa damals auf das Zusammenwirken aller 15 angewiesen. Eine Regierung ins Eck zu stellen, war auch für Europa kontraproduktiv. Die Entsendung der drei Weisen war dann nur noch eine Zusatzschleife, um den Gesichtsverlust der EU-Partner in Grenzen zu halten. Es wurde erkannt, dass man sich mit solchen Aktionen nur die Finger verbrennen kann. Bei allen nachfolgenden Regierungsbildungen mit heiklen Parteien haben sie sich dann herausgehalten.

Sie haben zu dieser Zeit von Viktor Klima die Parteiführung übernommen. Haben Sie die Sanktionen behindert?

Gusenbauer: Das war eine unheimlich schwierige Situation, weil einige Aspekte zusammengekommen sind: Die Partei war organisatorisch, politisch und finanziell ausgepowert. Und dann kam diese enorme Konfrontation, in der versucht wurde, die SPÖ in das Eck der Vaterlandsverräter zu rücken. Mir war klar, dass wir zuerst schaffen müssen, diese Maßnahmen wegzubekommen, sonst hätte eine normale innenpolitische Auseinandersetzung nicht stattfinden können. Zweitens musste die Partei finanziell saniert werden. Und drittens musste ein politischer und organisatorischer Neuaufbau stattfinden, um diese SPÖ auf die Oppositionsrolle einzustellen.

Sie sind damals nach Paris gereist und haben mit der französischen Führung gesprochen. In Wien hieß es, Sie „champagnisierten“. Was haben Sie dort wirklich getan?

Gusenbauer: Wolfgang Schüssel hat mich ersucht, alle Kontakte wahrzunehmen, damit wir diese Maßnahmen wegbekommen. Es gab viele Regierungen, die nicht bereit waren, mit ihm zu reden. Die waren aber sehr wohl bereit, mit mir zu reden. Ich habe also einige Hauptstädte besucht, die Verantwortlichen getroffen, Vorträge gehalten, um klarzumachen: Freunde, das bringt so nichts. In Paris waren gerade die Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Gang. Und da war ein Empfang im Élysée. Nachdem man in Frankreich bekanntlich nicht Grünen Veltliner trinkt, wurde halt mit Champagner angestoßen. Die Reaktionen in Österreich zu diesem Treffen waren Ausdruck einer unheimlichen Doppelbödigkeit. Zum einen wurde ich aufgerufen mitzuhelfen, damit wir das beenden. Zum anderen wurde ich diskreditiert, nachdem ich genau das versucht habe.


So lange hat es ja nicht gedauert, da waren die Sanktionen beendet.

Gusenbauer: Über den Sommer hat sich gezeigt, dass die Maßnahmen nicht aufrechterhalten werden können. Sie haben ja alle Entscheidungen in der EU erschwert. Das alles hat man sich im Vorhinein nicht besonders gut überlegt.

Wie bewerten Sie die politische Wende vor zehn Jahren? Hat sie Österreich nachhaltig verändert?

Gusenbauer: Erstmals ist eine Partei des rechten Randes Teil der Regierung geworden. Das war ein Abgehen von einem Konsens in Europa, dass die Regierungen von Mitte-rechts- und Mitte-links-Parteien gebildet werden. Und es war der Versuch von ÖVP und FPÖ, den Neoliberalismus in Österreich durchzusetzen. Aber die Bemühungen, den Sozial- und Wohlfahrtsstaat abzubauen, haben massiven Widerstand in der Bevölkerung ausgelöst. Es musste die Ambulanzgebühr wieder zurückgenommen werden, die Pensionsreform ebenfalls. Was aber geblieben ist: Das ist die Hemmschwelle für gewisse Tabus vom rechten Rand. Diese Schwelle wurde nachhaltig nach unten gesenkt.

ZUR PERSON

Alfred Gusenbauer.
Mitten in der Phase der Sanktionen, am 29.April 2000, wurde Alfred Gusenbauer Parteivorsitzender der SPÖ. Zuvor war er bereits Klubobmann und Bundesgeschäftsführer. Er übernahm das Amt von Viktor Klima, der sich aus der Politik zurückzog. Die Partei war zu diesem Zeitpunkt mit 25 Millionen Euro schwer verschuldet. Gusenbauer war von Jänner 2007 bis Dezember 2008 Bundeskanzler. Seit 2009 ist er im Aufsichtsrat der Alpine Holding GmbH und im Aufsichtsrat der SIGNA-RECAP Holding AG tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2010)

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