Zehn Jahre "Wende": War da was?

Zehn Jahre
Zehn Jahre "Wende": War da was? (Ex-ÖVP-Chef Schüssel, -Präsident Klestil und -FPÖ-Chef Haider)(c) APA (Harald Schneider)
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Reformen von Schüssels schwarz-blauer Regierung haben die Große Koalition seit 2007 überdauert. Die FPÖ ist nach einem Tief auf dem Vormarsch.

Der Start der Regierung Schüssel im Februar 2000 war von heftigsten Protesten begleitet: Vor der Hofburg erwarteten Demonstranten mit Tomaten und Eiern die Regierungsmitglieder (die es vorzogen, unterirdisch von einem Ende des Ballhausplatzes zum anderen zu gelangen), die EU-Staatschefs reagierten mit außergewöhnlichen Maßnahmen auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ Jörg Haiders: Sie verhängten Sanktionen gegen Österreich. Auch Bundespräsident Thomas Klestil gab durch sein Mienenspiel zu erkennen, wie wenig er von der Regierung hielt, deren Angelobung er nicht verhindern konnte. Zehn Jahre später ist längst Normalität eingekehrt: Die EU-Staatschefs haben die Sanktionen längst wieder entsorgt, Befürchtungen einer rechtsradikalen Politik der Bundesregierung waren offenkundig unbegründet. Der FPÖ tat die Regierungsbeteiligung nicht gut: Innerparteiliche Konflikte brachen auf, die Partei wurde mehrmals gespalten. Erst die Rückkehr zur Opposition brachte sie zurück zu alter Stärke. Geblieben sind etliche Reformen von Schwarz-Blau – von den Pensionen bis zu Privatisierungen.

Nicht geschaffen fürs Regieren

Jörg Haider stand am Zenit seiner Karriere. Hoch über dem Ossiacher See, am Gipfel der Gerlitzen. Mit dem Helikopter war er heraufgekommen. Der ganze Skiberg war eigens für ihn gemietet worden. In den Hütten warteten bereits die freiheitlichen Honoratioren, also all jene, denen er in den Jahren zuvor ein Amt verschafft hatte, und sei es auch nur in der Partei, mit ihren Geschenken. 3000 Fans aus nah und fern feierten mit Jörg Haider an diesem 26. Jänner 2000 seinen 50. Geburtstag. Es sei das erste und einzige Mal gewesen, dass sie Jörg Haider beschwipst erlebt habe, sollte sich Susanne Riess-Passer später erinnern – aus tragischem Anlass, dem Unfalltod der freiheitlichen Galionsfigur.

Bei dieser Gelegenheit, der Megaparty zum Fünfziger, beleidigte Haider in bewährter Manier gleich einmal die französische und belgische Regierung, die mit Sanktionen drohten, sollte in Wien eine Regierung unter Einbeziehung der „extremen Rechten“ gebildet werden. Haider war mittlerweile auch europaweit zum ernst zu nehmenden Feindbild avanciert, von vielen wirklich gefürchtet, von seinen Anhängern bedingungslos verehrt.

Am 3. Februar 2000 war es dann tatsächlich so weit. In Anwesenheit unzähliger ausländischer Medienvertreter präsentieren Jörg Haider und Wolfgang Schüssel ihren Koalitionspakt. Obwohl die FPÖ bei der vorangegangenen Nationalratswahl mehr Stimmen errungen hatte als die ÖVP, ließ Haider Schüssel den Vortritt im Kanzleramt. Am 4. Februar schritten sie in der Hofburg zur Angelobung.

Die Protestbewegung ließ allerdings weder Schüssel noch Haider unbeeindruckt. Dem nach außen hin so gefassten Neokanzler war nicht wohl in seiner Haut – er bekam heftige Rückenschmerzen, ein Zahn fiel ihm aus. Auch Jörg Haider stimmte die „Bürgerkriegsatmosphäre“ im Land nachdenklich: Dies beschleunigte seinen Entschluss, sich auf Kärnten zu konzentrieren. Mit ausschlaggebend war jener Abend, an dem Haider mit seiner Frau in einem Italorestaurant im 8. Wiener Bezirk saß und dieses von wütenden Demonstranten belagert wurde. Die verängstigten Haiders konnten nur über den Hinterausgang entkommen.

Susanne Riess-Passer übernahm die Partei. Obwohl Haider klar war, dass die FPÖ in der Regierung ein Drittel bis ein Viertel ihrer Stimmen verlieren würde, ließ er sich von der negativen Stimmung mittreiben. Die Funktionäre wurden zusehends unzufriedener: Zum einen, weil sie nun auch an den Trog der Macht wollten. Doch so einfach war es für die blauen Regierungsmitglieder nicht immer, den Ihren Posten, Förderungen und Einfluss zuzuschanzen – obwohl sie sich redlich bemühten. Zum anderen verlor die FPÖ – wie von Haider erwartet – von Wahl zu Wahl Stimmen. Erst in der Steiermark, dann in Wien.

Wolfgang Schüssel zog derweil die freiheitlichen Regierungsmitglieder auf seine Seite, und diese hatten auch nicht viel dagegen, zu groß war die Kluft zwischen Wien und Klagenfurt geworden. Sie mussten ein Anti-Temelin-Volksbegehren mittragen, eine Steuerreform auf ihre Fahnen heften – obwohl das Geld für die Hochwasserhilfe benötigt wurde – und immer wieder Sprüche und Entgleisungen subalterner Funktionäre verteidigen wie auch Jörg Haiders dubiose Reisen, etwa zu Saddam Hussein.

Im Spätsommer 2002 flog dann der Deckel vom Topf. Die FPÖ-Rebellen hatten in Knittelfeld eine Delegiertenversammlung einberufen, um die Abgesandten in Wien auf Linie zu bringen. Wieder ließ Jörg Haider die Dinge treiben – und seine Vizekanzlerin im Stich. Diese trat tags darauf zurück, Neuwahlen wurden ausgeschrieben, und Wolfgang Schüssel triumphierte. Jene freiheitlichen Wähler, die mit der schwarz-blauen Regierung grundsätzlich einverstanden waren, liefen zu ihm über – nicht zuletzt, weil nun auch der frühere FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser für die ÖVP warb. Das erklärt wahrscheinlich, warum Schüssel diesem immer noch die Treue hält.

Die FPÖ blieb bis 2006 in der Regierung, ab 2005 unter der Bezeichnung BZÖ. Auf lediglich vier Prozent kam Haiders Neugründung bei der Nationalratswahl 2006. 27 Prozent waren es 1999 gewesen. Schüssel hatte Haider und dessen Partei in der Regierung also tatsächlich – bundespolitisch betrachtet – entzaubert.

Der geradlinigere Strache

Allerdings hatte diese Demontage Folgen: Die unzufriedenen Freiheitlichen begannen sich am rechten Rand, aber nicht nur dort, zu sammeln und scharten sich fortan um den unterschätzten, aber berechenbareren Heinz-Christian Strache. Dieser wurde zum wahren Erben Jörg Haiders, er führte dessen aggressive, auf wenige Punkte fokussierte Oppositionsstrategie der Jahre vor der „Wende“ konsequent und erfolgreich fort.

Jörg Haiders Erfolge blieben auf Kärnten beschränkt. Bei der Nationalratswahl 2008 zeigte er zwar bundespolitisch noch einmal auf, doch an Strache kam er nicht mehr heran. Letztlich schloss sich 2009 auch Haiders Kärntner Partei wieder der Bundes-FPÖ an. Diese steht fast schon wieder dort, wo sie vor dem 4. Februar 2000 war.

Auf einen Blick

Koalition(en) mit der FPÖ.
Bereits einmal, von 1983 bis 1986, regierte die FPÖ mit – in einer Koalition mit der SPÖ.

Vor der „Wende“ 2000 gab es Gespräche über die freiheitliche Duldung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung – in diese hätten FPÖ-nahe Experten entsandt werden können. Doch FPÖ-Chef Haider lehnte dies letztlich ab, schließlich bot ihm ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel – nach dem Scheitern der rot-schwarzen Verhandlungen– einen richtigen Koalitionspakt an. Die Vorarbeiten dafür waren schon in Gesprächen zuvor geleistet worden. Daher ging es Ende Jänner dann ganz schnell. Bis kurz vor der Angelobung am 4. Februar wurden allerdings auf FPÖ-Seite – bis in die Nacht hinein – noch Minister gesucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. Jänner 2010)

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