Normalität als Höchststrafe

Schwarz-Blau war Durchschnitt. Das ist für die Gegner und für die Befürworter von einst schwer erträglich.

Ein weises Sprichwort sagt: Es wird wohl nicht so schön werden, wie wir hoffen, aber auch nicht so schlimm, wie wir befürchten. Im Rückblick zeigt sich, dass das auch für die „Wende“ des Jahres 2000 gilt: Es wurde nicht so schlimm, wie die Eintänzer des antifaschistischen Karnevals befürchteten, und es wurde nicht so schön, wie die Wüste-Gobi-Halbschuhtouristen es erhofften.

Schwarz-Blau, das war zunächst ein heilsamer Schock, dann eine erstaunlich produktive Regierung und am Ende die Verwaltung der Ruinen politischen Glücksrittertums. Im Ganzen gesehen war es eine ziemlich durchschnittliche, nicht besonders aufregende Veranstaltung.

Ja, es gab selbst im Vergleich zur jetzt amtierenden Regionalligamannschaft eine besonders große Zahl ungeeigneter Minister. Aber es gab auch, wieder im Vergleich zur amtierenden Regierung, eine überdurchschnittlich große Zahl zielgerichteter und nachhaltiger Maßnahmen (einen Teil der heutigen Budgetprobleme verdanken wir dem Umstand, dass sie nach dem „Ende der Wende“ von den folgenden Großen Koalitionen verwässert wurden).

Wie durchschnittlich das „Unternehmen Schwarz-Blau“ gewesen ist, zeigt sich am deutlichsten dort, wo sowohl die Befürchtungen der Gegner als auch die Hoffnungen der Befürworter besonders groß waren: im Wechsel von der Konkordanz- zur Konfliktdemokratie. Es wurde vor zehn Jahren viel und in besorgtem Ton über die „Ausschaltung der Sozialpartner“ und die damit verbundene Zerstörung der demokratischen Balance im Land geschrieben. Weit gefehlt: Schüssel, der Machtkämmerer, und Haider, der Freiheitsmaulheld, hatten gar nicht vor, die sozialpartnerschaftliche Erstarrung zu lösen. Sie wollten sie nur in ihrem Sinn instrumentalisieren. So wie die Regierungen vor ihnen und so wie die Regierungen nach ihnen.


Die Durchschnittlichkeit ist es auch, mit der sowohl die Befürworter als auch die Gegner von damals noch heute ihre Probleme haben. Gewälzt werden diese überwiegend in der Privatsphäre und in Geheimpublikationen, denn die Exponenten beider Lager haben die Bühne der Öffentlichkeit inzwischen verlassen. Die Anhänger der Schüssel-Sekte feiern ihre Wortgottesdienste nur noch in einschlägigen Blogs. Die selbst ernannten Verteidiger der österreichischen Demokratie gegen die Wiederkehr des Faschismus haben sich inzwischen der Rettung der Welt aus den Fängen des Neoliberalismus zugewendet. (Dass man auch die schwarz-blaue Liaison von Kammergeist und Karawankenfeudalismus „neoliberal“ geschimpft hat, gehört ins reichhaltige Repertoire der unfreiwilligen Selbstironie jener Tage.)

Die ideologisch aufgeladenen Debatten der Jahre 2000 und 2001 erweckten den Eindruck einer politischen Lebendigkeit, von der längst nichts mehr zu spüren ist. Die Uni-Proteste haben gezeigt, dass der schweigenden Mehrheit, die zwischen altmarxistischen Sektierern und peinlichen JVP-Strebern eingeklemmt ist, Politik einfach zu dumm ist. Und die aktuell regierenden Politiker sind von den seinerzeitigen Auseinandersetzungen vollkommen unbelastet, nicht zuletzt aus Mangel an intellektueller Kapazität. Das Risiko, während eines politischen Gesprächs in eine Erörterung von Carl Schmitts Überlegungen zu Legalität und Legitimität verwickelt zu werden, ist heute überschaubar.


Was von Schwarz-Blau bleibt? Inhaltlich im Positiven die Pensionsreform und einige irreversible Privatisierungen, im Negativen die Fortschreibung der alten Strukturen in staatsnaher Wirtschaft und Verwaltung. Atmosphärisch im Positiven die Politisierung weiter Teile der Bevölkerung, im Negativen die Hysterisierung des politischen Moraldiskurses und der pseudoliberale Amigo-Hype um Karl-Heinz Grasser.

Der Rest war Durchschnitt. Aber eben auch nicht schlechter als der jetzt schon zum zweiten Mal mit dem Argument „Große Probleme – Große Koalition“ durchgedrückte Worst Case der parlamentarischen Demokratie.

Über die politische Kernfrage jener Epoche, ob nämlich die Hereinnahme der Haider-FPÖ in die Regierung zu deren Rückführung auf das erträgliche Maß oder zur endgültigen Etablierung des Rechtsextremismus in unserem politischen System geführt hat, wird man frühestens zum 20-Jahr-Jubiläum vernünftig diskutieren können. Noch sind die Intellektuellen und Journalisten, die seinerzeit in Angst-Lust-Extase-Attacken zuckten, nicht bereit, die empirischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen: Die Kraftnahrung der FPÖ war die Große Koalition. Und sie wird es bleiben.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2010)

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