Konsumpsychologin: "Geist ist geil"

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Warum lassen wir uns schon wieder so gern "veräppeln"? Interview mit Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro über Ikonendesign, das neue iPad und Apples Achillesferse.

Sagt Ihnen der Begriff Mapple etwas?

Simonetta Carbonaro: Nein.

So heißt Apple in einer Parodie bei den Simpsons (Mapple = mock apple, sich über Apple lustig machen). Steve Jobs wird im Zeichentrick als Guru dargestellt, die Apple-User als seine Jünger. Natürlich ist das übertrieben, aber trotzdem stimmt noch immer, dass Microsoft Käufer und Apple Fans hat. Das hat auch der Rummel um das „iPad“ gezeigt. Wie schafft eine Marke so etwas?

Apple hat von Anfang an auf das David-gegen-Goliath-Thema gesetzt, zuerst ging es gegen IBM, dann gegen Microsoft. Bei den Anhängern erzeugt so etwas den Stolz der Minderheit. Nicht der Große, der es wegen der Muskeln, sondern der Kleine, der es wegen der Klugheit schafft, ist der Sympathische.

Das kann aber nicht alles sein.

Nein. Steve Jobs ist ein großer Designer. Kein Designer im Sinne von Gestalter der Formen – das wäre bei Apple Jonathan Ive –, sondern im Sinne von Créateur. Jobs hat Objekten des Alltags eine soziale, dialogisierende Dimension gegeben, er hat Design als Interface zwischen Mensch und Maschine verstanden. Der erste Mac sah nicht nur total anders aus als jeder PC, er „sprach“ dank des grafischen Interface die Sprache der Kreativen, während man mit den PCs in „Computersprache“ kommunizieren musste. Im Design von Apple spiegelt sich auch der Abschied der postmodernen Epoche der schrillen Lifestyleprodukte wider: Der iMac war zwar noch knallig bunt, aber auch schon durchsichtig. Apple begann von da an, sich immer mehr zurückzunehmen, zu verschwinden. Beim iPhone und iPad wurde man zur leeren Plattform, zum minimalistischen Rahmen. Im Vordergrund steht der Benutzer.

Für etwas, das verschwindet, hat Apple aber einen hohen Wiedererkennungswert.

Natürlich. Einen höheren als jedes schrilles Design. Apple-Design, dieses radikale Weiß, ist stark ikonografisch, und es illustriert meine These, dass sich das postmoderne „Form follows fiction“-Paradigma, bei dem es um schnell austauschbare Lifestyleprodukte geht, zu „Form follows sense“ wandelt. Die Menschen haben nach der „Zuvielisation“ Sehnsucht nach Bedeutung, Authentizität, Einfachheit, Geist. Apple ist eines der wenigen Unternehmen, die das erkannt haben und die Gegenbewegung zu „Geiz ist geil“ – nämlich: „Geist ist geil“ – umsetzen. Apple traut sich auch, Innovationen nicht auf der Basis von Marktforschung zu entwickeln, sondern den Zeitgeist selbst zu interpretieren. Zum Beispiel: Bevor der iMac rauskam, habe ich Ähnliches öfter bei meinen Designstudenten gesehen. Apple war bloß klug genug, das, was in der Luft lag, zu ernten.

Das heißt, Apple ist nur gut, weil die anderen nicht wissen, wo sie stehlen sollen?

Tatsächlich hat die Konsumgüterbranche noch nicht begriffen, wie wichtig die kulturelle Dimension der Ökonomie ist. Man geht mechanistisch an den Menschen heran und lässt das Humanistische – Sinn, Sehnsucht etc. – vor der Tür.

Ist in diesem Sinn auch der Satz vom Apple-Kenner Hartmut Esslinger zu verstehen, dass Apple „weiblich“ sei? Weil man den Computer aus der technoiden Bubenecke geholt hat?

Ich muss meinem alten Freund widersprechen. Apple war nie ein männliches Statussymbol, ist aber auch nicht weiblich. Der iMac war keine Frau, kein Mädchen, sondern – ein Kind. Denn wie spricht ein kleines Kind? Statt „I am Mac“, also „Ich bin Mac“, sagt es: „I Mac“, „Ich Mac“. Damit hat der iMac die Herzen erobert. Heute ist Apple in seiner entmaterialisierten Form längst erwachsen und elegant, aber auch diese Eleganz hat kein Geschlecht.

Verkörpert wird Apple von einem Mann. Inwiefern hängt die Apple-Aura von Jobs ab?

Als Jobs in den 80ern gehen musste, fielen die Aktien, der kleine Kreative war von den Großen, den Businessleuten, aus der Firma gedrängt worden: die Apple-Aura litt. Mit der Rückkehr wurde Jobs' Mythos begründet. Er steht dafür, dass die Macht der Idee über die Idee der Macht siegt. Das ist es auch, was die Kreativen glauben.

Apropos Dinge, die man gern glaubt: Apple gilt als sympathische Marke, hat aber viele unangenehme Seiten. Mit iTunes bietet man ein mit anderen nicht kompatibles System an. Die Genius-Funktion überwacht – wenn man zustimmt – den Musikkonsum. Teuer ist Apple auch noch. Einem anderen Unternehmen würde man das ankreiden.

Man macht es nicht, weil Apple Permission-Marketing betreibt, d.h., der Konsument hat nicht das Gefühl, dass er ausspioniert wird, weil man ihn eben vorher fragt. Und wer zum Apple-Clan gehören will, stimmt zu. Die Zukunft gehört aber ohnehin nicht Apple, sondern Open-Source-Systemen, und wie jeder Held muss auch Apple dann bereit sein zu sterben. Obwohl Apples Achillesferse ja eigentlich eine andere ist.

Nämlich?

Vor einem Jahr gab es in der „Apple-Kirche“ in den USA große Empörung, weil der iPhone-Akku nicht austauschbar war. Das Gespür für die neue Sensibilität gegenüber Ökologie, Nachhaltigkeit, dem Sozialen, Fairen fehlt Apple. Zwar wir jetzt behauptet, das iPad sei recycelbar, aber das werden die NGOs noch überprüfen.

Kann eigentlich der Erfolg für Apple zur Falle werden? Wer stark wächst, ist nicht mehr der Kleine. Und wenn eine Marke in der Mitte ankommt – der iPod ist Statussymbol der Masse –, gibt es keinen „Clan“ mehr.

Ich glaube, dass der wachsende Profit egal ist. Der Mythos ist nicht ans Geld gekoppelt, sondern ans Anderssein. Und außerdem: Innerhalb der Massenproduktion bleibt Apple der Herausforderer.

Aber nicht der technische. Apple gilt nicht als der Konzern, der erfindet, sondern jener, der perfektioniert.

Stimmt. Sie sind keine Erfinder, sondern Innovatoren. Innovation ist die Fähigkeit, Erfindungen so zu verwenden bzw. zu zerstückeln und neu zusammensetzen, dass sie Menschen ansprechen. Der iPod war keine Erfindung, sondern eine Innovation: Der Mensch sollte seine ganze Musiksammlung stets bei sich haben. Die Botschaft des iPad ist die „Wir-Gesellschaft“, dass man immer mit dem Social Network verbunden ist.

Und am Ende steckt man die Welt in die Hosentasche – in Form einer Wundermaschine, die alles kann.

Glaube ich nicht. Man hätte z.B. Telefonie schon jetzt ins iPad integrieren können, aber man wollte nicht.

Weil man noch iPhones verkaufen will?

Nein. Ich persönlich denke, dass eine Spezialisierung der Instrumente ein Kennzeichen von Zivilisation ist. Ich glaube nicht ans allmächtige Objekt. Viele Leute wollen telefonieren und sich nicht via Bildschirm dabei anschauen.

Benutzen Sie selbst Apple-Produkte?

Ich habe ein iPhone. In Italien hatte ich ein iBook, aber seit meine Firma in Deutschland ist, lebe ich in einer PC-Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2010)

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