Missbrauch an Schulen: Jesuiten droht Zivilklage

Canisius-Kolleg in Berlin - eine der betroffenen Schulen
Canisius-Kolleg in Berlin - eine der betroffenen Schulen(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Selbst wenn die Taten verjährt sind, hat eine Zivilklage gute Chancen, sagt die Anwältin eines Opfers. Unterdessen wurden weitere Missbrauchsfälle in Bonn aufgedeckt.

Im Skandal um sexuellen Missbrauch an deutschen Jesuiten-Schulen prüft eine Rechtsanwältin im Auftrag eines Opfers nun auch eine Zivilklage. Das Vorgehen gegen das Berliner Canisius-Kolleg habe ihrer Meinung nach Aussicht auf Erfolg, sagte die auf Missbrauchsfälle spezialisierte Juristin Manuela Groll am Donnerstag dem Berliner rbb-Sender Radio eins.

Die Schulleitung habe in den 70er und 80er Jahren möglicherweise trotz Anzeichen und Hinweisen nicht verhindert, dass auch weitere Opfer geschädigt wurden. Auch wenn die Taten selbst strafrechtlich eventuell verjährt seien, könne trotzdem ein zivilrechtlicher Anspruch bestehen, sagte sie. Dem von ihr vertretenen Opfer gehe es dabei sowohl um "wirkliche" Aufklärung als auch um Genugtuung.

Bundesweit etwa 30 Opfer

Groll sagte, dass ihr Mandant als Hauptbevollmächtigter auftrete, an den sich weitere Opfer wenden könnten, um gegebenenfalls eine Sammelklage anzustreben. In den vergangenen Tagen war bekannt geworden, dass es an dem Canisius-Kolleg in Berlin und anderen Schulen und Einrichtungen des Jesuiten-Ordens früher zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben hat. Dafür sollen drei Pater verantwortlich sein, die jahrzehntelang als Lehrer und Jugendseelsorger tätig waren. Sie arbeiteten außer an dem Gymnasium in der Hauptstadt auch in Hamburg, in St. Blasien im Schwarzwald sowie in Göttingen, Hildesheim und Hannover.

Bisher meldeten sich bundesweit mindestens etwa 30 potenzielle Opfer der Beschuldigten. Diese haben ihre Taten teilweise zugegeben. Die Leitung der Jesuiten bekannte, dass der deutsche Orden schon in den 1980er Jahren Hinweise auf mögliche Missbrauchsfälle hatte. Die Ordensführung habe keine Anzeigen erstattet und versucht, das Problem intern zu regeln.

Missbrauch auch in Bonn

Auch am Bonner Aloisiuskolleg des katholischen Jesuitenordens Fälle hat es sexuellen Missbrauch gegeben. Ihm seien solche Vorwürfe unter Zusicherung äußerster Diskretion anvertraut worden, sagte der Rektor des Kollegs, Pater Theo Schneider am Donnerstag. Von dem anonymen Vorwurf eines ehemaligen Schülers, über den die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, habe er jedoch bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Kenntnis gehabt. Alle Verdächtigungen und Beschuldigungen "beziehen sich ausschließlich auf die Vergangenheit und nicht auf aktive Jesuiten und Mitarbeiter des Kollegs", hieß es in einer Erklärung Schneiders.

Den früheren Hinweisen sei seit Inkrafttreten der Richtlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Ordensleute im Jahr 2003 nachgegangen worden. Sie seien zur Prüfung und Untersuchung an die zuständige Beauftragte des Jesuitenordens für Missbrauchsfälle weitergeben worden. "Diese Untersuchungen sind meiner Kenntnis nach in allen Fällen abgeschlossen", teilte Schneider mit.

In der "Süddeutschen Zeitung" hatte sich ein ehemaliger Schüler des Aloisiuskollegs geäußert. Er sei Anfang der 60er Jahre von einem Pater missbraucht worden. Der Pater sei inzwischen gestorben.

Schneider rief etwaige weitere Betroffene zu Gesprächen auf und sicherte Anonymität und Diskretion zu. Er verurteile sexuellen Missbrauch aufs schärfste und bitte Opfer von Verbrechen um Verzeihung, "persönlich und als Vertreter unseres Kollegs".

Sammelklage in den USA?

Ein Anwalt von Opfern des sexuellen Missbrauchs will unterdessen eine Sammelklage gegen den Jesuiten-Orden in den USA prüfen. "Sollte sich bestätigen, dass ehemalige Schüler die amerikanische Staatsbürgerschaft haben, wäre eine Sammelklage in den USA, anders als in Deutschland, möglich", erläuterte Rechtsanwalt Lukas Kawka am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Die finanziellen Konsequenzen wären dann für den Jesuitenorden desaströs." Kawka vertritt nach eigenen Angaben Opfer des Missbrauchs, wollte aber aus Gründen der anwaltlichen Verschwiegenheit nicht sagen, wie viele Mandanten er hat.

Geprüft werde aber zuerst eine außergerichtliche Einigung, so Kawka. Der sexuelle Missbrauch stelle "kein individuelles, sondern ein kollektives Versagen" dar. Dieses sei geprägt durch ein "konsequentes Wegsehen unter dem Deckmantel eines christlich-ethischen Wertesystems". Um Wiederholungen vorzubeugen, müsse es "spürbare, schadenersatzrechtliche Sanktionen" geben.
Verdächtiger war Leiter von Hilfswerk

Einer der drei beschuldigten Jesuiten war nach seiner Tätigkeit als Lehrer und Jugendseelsorger Gründer und langjähriger Leiter des Hilfswerks "Ärzte für die Dritte Welt", wie die Organisation mitteilte. Der Mann sei mit sofortiger Wirkung als Vorstand zurückgetreten und nicht mehr Vereinsmitglied, erklärte Geschäftsführer Harald Kischlat.

Es gebe derzeit keine Hinweise, dass es im Rahmen seiner Tätigkeit für die Organisation zu Übergriffen gekommen sei, teilte Kischlat auf der Homepage von "Ärzte für die Dritte Welt" mit. Verein werde "alles veranlassen", um dies vollständig aufzuklären. Das Verschweigen der Taten habe ohnehin schon viel zu lange gedauert und sei für die Opfer "ein weiterer Akt des Missbrauchs". Die Schauspielerin Maria Furtwängler ("Tatort"), die sich seit Jahren für "Ärzte für die Dritte Welt" engagiert, erklärte: "Bei aller Verantwortung für den Fortgang unserer Arbeit steht das Mitgefühl mit den Opfern im Mittelpunkt."

Nach Angaben Kischlats hatte der Jesuiten-Orden bereits 2005 Hinweise auf einen Fall von sexuellen Missbrauch durch den Pater gehabt. Damals sei auch ein damaliges Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation über den Vorwurf informiert worden. Dieser habe "aus Gründen der Vertraulichkeit gegenüber dem Opfer" aber keine weitere Mitarbeiter darüber in Kenntnis gesetzt. Alle heutigen Mitglieder des Vereins und dessen Führung hätten die "erschreckende Nachricht" erst am Dienstag in Folge einer entsprechenden Veröffentlichung der Jesuiten erfahren.

Berliner Erzbischof kritisiert "Wegschauen"

Der Berliner Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky hat den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch durch Geistliche nachdrücklich verurteilt. In der Vergangenheit sei das Thema "offensichtlich vernachlässigt" worden, erklärte er in einem Beitrag für die Berliner Boulevardzeitung "B.Z.". Es habe eine "Kultur des Wegschauens und -hörens" gegeben.

Der Kardinal lobte den Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes. Mit der Offenlegung der Missbrauchsfälle an dem Jesuitengymnasium habe dieser "mutig den wichtigen Schritt an die Öffentlichkeit gewagt". Zugleich betonte Sterzinsky, über die Ereignisse dürfe nicht vergessen werden, "dass der große Teil der Geistlichen in verlässlicher und gute Weise seinen Dienst tut".

Die "Katholische Elternschaft Deutschlands" (KED) rief am Donnerstag zu einer umfassenden Analyse auf nach den Missbrauchsfällen bei den Jesuiten auf. Es sei zu überlegen, "was sich in der katholischen Kirche ändern muss, damit solchen Auswüchsen künftig besser entgegengewirkt wird", sagte KED-Bundesvorsitzende Marie Theres Kastner in Bonn. Besonders wichtig seien Initiativen zu Hilfe, Aufarbeitung und Prävention. Dabei seien alle kirchlichen Institutionen und Verbände gefragt, so Kastner.

(Ag.)

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