Britisches Ultimatum an Putin

Theresa May stand im Parlament Rede und Antwort.
Theresa May stand im Parlament Rede und Antwort.APA/AFP/PRU/HO
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Premierministerin Theresa May sieht die Verstrickung Russlands in die Vergiftung des früheren Doppelagenten Skripal als „höchstwahrscheinlich“ an und will nun Aufklärung innerhalb von 24 Stunden.

Großbritannien hat Russland für den Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal verantwortlich gemacht. Vor dem Unterhaus in London erklärte Premierministerin Theresa May, eine Verwicklung Moskaus in den Fall sei „höchstwahrscheinlich“. Der russische Botschafter in London sei von Außenminister Boris Johnson einbestellt und aufgefordert worden, bis Dienstagabend „eine glaubhafte Erklärung“ zu geben. Sollte das Ultimatum unbeantwortet verstreichen, werde Großbritannien bereits am Mittwoch „umfangreiche Maßnahmen“ vorstellen.

In ihrer Erklärung nannte May erstmals auch das Gift, das bei dem Anschlag auf Skripal und seine Tochter am Sonntag vor einer Woche in der südwestenglischen Kleinstadt Salisbury verwendet worden war. Nach britischen Untersuchungen handelte es sich um Nowitschok, ein in der Sowjetunion entwickeltes Nervengift von extrem hoher Wirksamkeit. May stellte klar: „Es handelt sich entweder um eine direkte Aktion des russischen Staates gegen unser Land, oder die russische Regierung hat die Kontrolle über ein Nervengas von potenziell dramatischer Gefährlichkeit verloren und den Stoff in fremde Hände geraten lassen.“

Nach betonter Zurückhaltung der meisten britischen Regierungsvertreter fuhr May schweres Geschütz gegen den Kreml auf: Der Verdacht gegen Moskau stütze sich nicht nur auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse, sondern auch auf „Russlands lange Geschichte von staatlich angeordneten Morden und unsere Einschätzung, dass Russland einige seiner Überläufer als legitime Ziele von Mordanschlägen ansieht.“
Skripal war 2004 in Russland wegen Spionage für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 verurteilt worden. 2010 wurde er im größten Agentenaustausch seit Ende des Kalten Kriegs über Wien nach Großbritannien ausgewiesen. Skripal wurde offiziell pardoniert, allerdings hat der russische Präsident Wladimir Putin, selbst ein ehemaliger Geheimdienstmann, wiederholt klargemacht: „Verräter finden ein böses Ende.“

Parallelen zu Fall Litwinenko

Der Fall Skripal erregt die britische Öffentlichkeit auch wegen der Parallelen zu dem Mord an Alexander Litwinenko, der 2006 im Zentrum von London von einem russischen Kommando mit Polonium vergiftet worden war. Drei Wochen später starb der abtrünnige Agent qualvoll. Der 66-jährige Skripal und seine 33-jährige Tochter Julia befinden sicher weiter in „kritischem, aber stabilen Zustand“ auf der Intensivstation.
Während Moskau die Vorwürfe abstritt, war in London die am meisten diskutierte Frage, welche Art der Sanktionen Großbritannien zu ergreifen bereit sein würde. May hatte untertags mit ihrem Sicherheitskabinett beraten. Dem Vernehmen nach drängten dabei vor allem Außenminister Johnson, Verteidigungsminister Gavin Williamson und Schatzkanzler Philip Hammond auf eine harte Linie.

Am stärksten treffen würden Russland ohne Zweifel Wirtschaftssanktionen. Auf bis zu 500 wird die Zahl russischer Superreicher, die in London zumindest einen Zweitwohnsitz haben, geschätzt. Ohne Duldung des Kreml wäre das nicht möglich. Die Anti-Korruptions-Gruppe Transparency International schätzt, dass ein Viertel aller Schwarzgelder, die jährlich in die britische Hauptstadt fließen aus Russland kommt. London sei „eine der größten Geldwäschen der Welt“.
Maßnahmen wie Verschärfungen der Geldwäschebestimmungen, der Einführung einer rigorosen Informationspflicht beim Erwerb von Immobilien oder gar der Beschlagnahme von Vermögen dubioser Herkunft würden die russischen Oligarchen in London und ihre Hintermänner im Kreml tief schmerzen. „Wir müssen Russland in einer Art und Weise treffen, die Putin aufschreckt und zu einer Antwort zwingt“, forderte der ehemalige Sicherheitsberater der Regierung, Lord Rickets. Gleichzeitig aber lebt London überaus gut von russischem Geld. Wahrscheinlicher scheinen daher vorerst klassische diplomatische Schritte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2018)

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