Leitartikel

Gefangen in einer Dauerschleife sinnloser Gewalt

(c) APA/AFP/MOHAMMED ABED
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Die palästinensische Bevölkerung wird zum Spielball von immer mehr Akteuren – von Israel über die Hamas bis Ankara und Teheran.

Es ist eine Katastrophe mit Ankündigung. Alle Seiten des Konflikts wussten, was passieren würde. Und sie ließen es auch genau darauf ankommen. So wie schon zu Beginn der Massenproteste Ende März sind nun erneut Zigtausende Palästinenser aus dem Gazastreifen zu den Grenzsperren mit Israel gezogen. Und erneut antwortete die israelische Armee mit Tränengas und auch mit scharfer Munition. Dutzende Palästinenser starben, mehr als 2000 wurden verletzt – erschreckend viele davon durch Schüsse.

Auch die moralischen Fragen bleiben dieselben wie schon zu Beginn: Israel hat zwar zweifellos das Recht, die Erstürmung seiner Grenzanlagen zu verhindern – vor allem auch, um damit das Eindringen von Terrorkommandos zu verhindern. Aber gibt es dafür nicht gelindere Mittel, als in großem Ausmaß mit Scharfschützen das Feuer zu eröffnen? Einsatz scharfer Munition durch Sicherheitskräfte bei – auch gewaltsamen – Protesten gilt in westlichen Ländern als No-go.

Die Islamistenorganisation Hamas im Gazastreifen wiederum hat zynisch kalkuliert. Sie hat viele der jungen Männer dazu aufgestachelt, zu den Sperren zu marschieren. In vollem Bewusstsein, dass sie das das Leben kosten kann. Ja wohl auch in der Hoffnung auf eine möglichst brutale Reaktion der israelischen Armee. Um die Bilder, die von den schrecklichen Folgen davon um die Welt gehen, für die eigene Propaganda nutzen zu können.

Wenig überraschend ist auch, dass der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, erneut Israels Vorgehen scharf verurteilt. Er versteigt sich nun sogar dazu, von „Völkermord“ zu sprechen. Es ist just derselbe Erdoğan, der im eigenen Land Kritik mit polizeistaatlichen Methoden unterdrückt. Und der Aufstände in kurdischen Städten im Osten der Türkei mit schweren Waffen niederschlagen ließ.

Die USA haben sich so wie immer im UN-Sicherheitsrat klar auf die Seite des Verbündeten Israel gestellt. Die Regierung des Präsidenten Donald Trump hat angekündigt, einen neuen Friedensplan für den israelisch-palästinensischen Konflikt vorlegen zu wollen. Ob man in dieser verfahrenen Situation in absehbarer Zeit zu einer Lösung kommt, ist aber fraglich.

Die Arabische Liga diskutiert heute bei einer Dringlichkeitssitzung über die tödliche Gewalt an der Grenze zu Gaza und die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Beides wird wohl von den Staaten der Liga kritisiert werden. Hinter den Kulissen wird man sich darüber aber nicht wirklich einig sein.

Schon in den vergangenen Jahrzehnten wurde immer wieder deutlich, dass das Schicksal der Palästinenser viele arabische Regierungen nicht wirklich kümmert – und wenn, dann nur insofern, als man es als Waffe gegen Israel verwenden kann. Nun werden zudem die strategischen Bündnisse immer volatiler. Saudiarabien und seine arabischen Alliierten haben ein vorrangigeres Ziel, als Israel wegen der Palästinenser Schwierigkeiten zu machen: Die saudische Führung will den Einfluss des Iran in der Region zurückdrängen. Und Israel ist dabei ein natürlicher Verbündeter.

Wenn Israels Luftwaffe nun – wie zuletzt – iranische Elitesoldaten in Syrien bombardiert, so ist das auch im Interesse Saudiarabiens. Der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, marschiert gemeinsam mit Israels Premier, Benjamin Netanjahu, an der Seite Trumps, wenn es darum geht, das Atomabkommen zu zerschlagen und die Sanktionen gegen Teheran zu verschärfen.

Der – schiitische – „Gottesstaat“ Iran wiederum unterstützt die – sunnitische – Hamas gegen Israel. Zugleich sorgt auch Ägyptens Regierung dafür, dass die Blockade gegen die Hamas im benachbarten Gazastreifen aufrechtbleibt. Und selbst der palästinensischen Führung um Präsident Mahmoud Abbas ist es nicht unrecht, wenn der Rivale Hamas kleingehalten wird.

Für die palästinensische Bevölkerung sind all diese Spiele ein Fiasko. Sie braucht endlich Frieden und ein Leben in Würde in einem eigenen Staat, der von einer verantwortungsvollen Führung gelenkt wird. Doch das ist derzeit nicht in Sicht. Die Region scheint in der Dauerschleife der Katastrophe gefangen.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2018)

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