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Zwei Experten, drei Meinungen: Wissenschaftler sind sich nicht einig, wie der Zwölf-Stunden-Tag zu bewerten ist.

Einige Experten aus Recht, Politikwissenschaft, Medizin, Psychologie und Soziologie gehen mit der von der Regierung geplanten Erweiterung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden hart ins Gericht. "Die Notwendigkeit der Novelle ist bei genauerer Betrachtung nicht zu sehen - auch nicht die ökonomische", sagte der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien. Längere Arbeitszeiten, um Aufträge schneller abarbeiten zu können, bedeute nicht ein Mehr an Aufträgen, sondern, dass ein anderes Unternehmen eben diesen Auftrag nicht bekomme.  Der Wissenschafter von der Uni Wien ortet die Gefahr von Sozialdumping. Ebenso bestreitet er die von der Regierung ins Treffen geführten Vorteile sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer.

Der Psychologe Gerhard Blasche von der Medizinischen Universität stößt sich nicht so sehr an vereinzelten Zwölf-Stunden-Tagen, sondern vor allem an der 60-Stunden-Woche. Über einen längeren Zeitraum mehr als 52 bis 55 Stunden zu arbeiten erhöhe das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden sowie für psychische Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen und Burnout. Der Zwölf-Stunden-Tag stelle keine nachhaltige Gefahr für die Gesundheit dar, so lange genug Erholung eingeplant ist. Studien mit Altenpflegern hätten gezeigt, dass nach zwei Zwölf-Stunden-Schichten drei Tage Erholung nötig sind.

"Selbstbestimmtes Gleiten als Mythos"

Für den Arbeits- und Sozialrechtler Martin Risak von der Universität Wien ist ein Problem, "dass das selbstbestimmte Gleiten natürlich in vielen Betrieben ein Mythos ist. Dass im Gleiten oft Überstunden versteckt werden." In den meisten Gleitzeitvereinbarungen sei eine tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden enthalten. "Das heißt, man muss diese 10 Stunden, die in den meisten Vereinbarungen enthalten sind, durch 12 ersetzen, und das geht nicht einseitig, sondern eben nur durch Verhandlung". Risak kritisiert auch die geplante Ausweitung des Begriffs „leitender Angestellter“. Diese Beschäftigten haben weitreichende Entscheidungsbefugnis und sind vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen. Für die Betroffenen würde das einen Wegfall von Überstundenzuschlägen bedeuten.

Wirtschaftsforscher für Flexibilisierung

Der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal - er berät die Regierung - verteidigt dagegen das türkis-blaue Vorhabe. Es werde sichergestellt, dass Arbeitnehmern, die es auf Basis der Freiwilligkeit ablehnen, länger zu arbeiten, keine Konsequenzen fürchten müssten, auch wenn Freiwilligkeit im Arbeitsrecht immer nur bedingt sei. Der Bedarf an Zwölf-Stunden-Tagen sei bei vielen Unternehmen hoch. Bisher gebe es zu viele bürokratische Hürden.

Die Chefs von IHS und Wifo, Martin Kocher und Christoph Badelt sind an sich für eine grundsätzliche Flexibilisierung. Jedoch hätten sie eine Einigung unter Einbindung der Sozialpartner, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, eher goutiert. Für den Wifo-Chef ist "das wirkliche Problem, dass die politische Diskussion mit Übertreibungen arbeitet, die schon ans Lächerliche grenzen - auf beiden Seiten."

Franz Schellhorn, Leiter des liberalen Think Thank merkt in einem Gastkommentar im "Profil" an: "In öffentlichen Spitälern durfte bis vor Kurzem noch bis zu 72 Stunden am Stück gearbeitet werden, mittlerweile sind es noch 29 Stunden. In vielen Kollektivverträgen wurden 12-Stunden-Schichten vom ÖGB abgesegnet, etwa in der produzierenden Industrie, im Infrastrukturbereich oder der Gastronomie." Seine Interpretation: "Dem ÖGB geht es nicht um den 12-Stunden-Tag. Sondern um den drohenden Bedeutungsverlust, den es abzuwehren gilt."

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