"Reines Wunschdenken": Streit um Fortschritt der Brexit-Gespräche

An anti-Brexit protester shelters under an EU flag themed umbrella opposite the Houses of Parliament in London
An anti-Brexit protester shelters under an EU flag themed umbrella opposite the Houses of Parliament in LondonREUTERS
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EU-Chefunterhändler Michel Barnier widerspricht britischen Medienberichten, wonach es eine vorläufige Einigung über den Zugang der Finanzdienstleister zu EU-Märkten gibt.

Britische Finanzdienstleister sollen nach dem Brexit weiterhin Zugang zu den EU-Märkten erhalten. Unterhändler von Großbritannien und der EU erzielten laut einem britischen Medienbericht eine vorläufige Vereinbarung für alle Aspekte einer zukünftigen Partnerschaft bei Dienstleistungen sowie beim Datenaustausch erzielt. Dieser Darstellung widerspricht nun EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Die britische Zeitung "The Times" vom Donnerstag stütze sich bei ihrer Darstellung auf Regierungskreise. In der Meldung hieß es zu dem, die Regulierung der Finanzbranche müsse sich dabei an EU-Vorgaben orientieren.

Das Brexit-Ministerium sprach in einer Stellungnahme am Donnerstag lediglich von Fortschritten in diesem Bereich: "Während wir weiterhin gute Fortschritte bei der Vereinbarung neuer Regelungen für Finanzdienstleistungen machen, gehen die Verhandlungen weiter und nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist." Damit sind das Abkommen über den EU-Austritt und eine politische Erklärung für die künftigen Beziehungen zwischen Brüssel und London gemeint.

EU-Chefunterhändler Barnier widersprach der Darstellung der "Times". Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er von "irreführenden Medienberichten". Die EU sei lediglich bereit, mit Großbritannien über den Zugang der Finanzdienstleister zu verhandeln. Großbritannien verlässt Ende März 2019 die EU.

"Reines Wunschdenkens unserer britischen Partner"

Auch EU-Diplomaten wiesen die Berichte zurück. Der vermeintliche Fortschritt sei "reines Wunschdenken unserer britischen Partner, das offenbar über den völligen Stillstand der Verhandlungen mangels britischer Bewegung hinwegtäuschen soll", berichtete der "Tagesspiegel" (Freitag) unter Berufung auf EU-Diplomaten.

Die Kontakte zwischen Großbritannien und der EU laufen derzeit auf technischer Ebene. Wann das nächste Treffen zwischen Barnier und dem britischen Brexit-Minister Dominic Raab sein werde, könne noch nicht gesagt werden, sagte ein Sprecher der EU-Kommission.

Am Abend wollte das Parlament in London über die Haushaltspläne der Regierung abstimmen. Schatzkanzler Philip Hammond hatte zu Beginn der Woche ein Ende der Sparpolitik, großzügige Steuerentlastungen und Finanzspritzen unter anderem für den notorisch unterfinanzierten nationalen Gesundheitsdienst NHS angekündigt. Es gab kaum Zweifel daran, dass die Abgeordneten die Pläne der Regierung absegnen werden.

Zuvor hatte die nordirisch-protestantische DUP damit gedroht, den Haushalt durchfallen zu lassen, sollte May auf Kompromisse mit der EU in der heiklen Irland-Frage eingehen. Die Regierungschefin ist mit ihrer konservativen Minderheitsregierung auf die Unterstützung der DUP-Abgeordneten angewiesen. Sie ließen sich jedoch mit einem kräftigen Geldsegen für ihre Region zunächst besänftigen.

EU-Diplomaten: Einigung im Dezember unwahrscheinlich

Brexit-Minister Raab geht davon aus, dass ein Abkommen mit Brüssel über den EU-Austritt Großbritanniens bis zum 21. November in trockenen Tücher sein kann. Das geht aus einem Schreiben Raabs an den Brexit-Ausschuss hervor. Nach Angaben seines Ministeriums gibt es aber noch keinen festen Termin für den Abschluss der Verhandlungen. EU-Diplomaten sagten dem "Tagesspiegel" hingegen, eine Einigung im Dezember wäre "ein mittleres Wunder".

Sollte der Deal tatsächlich noch im November stehen, könnte es noch vor Weihnachten zu einer Abstimmung darüber im Parlament kommen. Die Brexit-Verhandlungen befinden sich vor allem mit Blick auf die Irland-Frage in einer Sackgasse. London und Brüssel konnten sich bishernicht darauf einigen, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden können. Befürchtet wird, dass eine feste Grenze wieder Unruhen in der fragilen Ex-Bürgerkriegsregion auslösen könnte.

Brüssel hat einen Notfallplan (Backstop) für die Irland-Frage zur Bedingung für ein Austrittsabkommen und die etwa zweijährige Übergangsphase gemacht, in der sich so gut wie nichts ändern soll.

Den Vorschlag Brüssels, dass im Notfall nur Nordirland eng an die EU gebunden bleiben soll, trifft besonders bei der DUP auf großen Widerstand. Ein Kompromiss könnte sein, dass ganz Großbritannien so lange im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion bleibt, bis das Problem im Rahmen eines Handelsabkommens geklärt ist. Darauf habe man sich mit Brüssel prinzipiell geeinigt, so Raab. "Eine Einigung über die Details des Backstops sollte möglich sein." Voraussetzung sei aber, dass das Land nicht unbegrenzt an die EU gebunden bleibe.

(APA/dpa)

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