Das Treffen der wichtigsten Wirtschaftsmächte steht im Schatten der russisch-ukrainischen Spannungen. Der saudische Kronprinz versucht sein internationales Comeback.
Wien/Buenos Aires. Einen großen Wurf hat sich im Vorfeld niemand erwartet. Falls sich die Teilnehmer des G20-Gipfels überhaupt auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen sollten, so werde dieses eher allgemein gehalten und zahnlos sein, hieß es von Diplomaten. Es ist nicht einfach, dass die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industriestaaten einen gemeinsamen Nenner finden. Umso wichtiger sind die bilateralen Verhandlungen am Rand des Treffens im argentinischen Buenos Aires. Das Gespräch der beiden Schwergewichte des Gipfels, Donald Trump und Wladimir Putin, wurde von den USA zunächst abgesagt – wegen des russischen Verhaltens gegenüber der Ukraine. Später gab der Kreml bekannt, dass es doch ein „kurzes spontanes Treffen“ der beiden Präsidenten geben werde. Die wachsenden Spannungen zwischen Moskau und Kiew sind auch eines der wichtigsten politischen Themen, die den Gipfel überschatten.
Ukraine-Konflikt
Nach dem Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch, bei dem die russische Marine ukrainische Schiffe aufgebracht hat, stehen die Zeichen auf Konfrontation. Die Ukraine hat in Teilen des Landes das Kriegsrecht verhängt und Deutschland und andere Nato-Staaten um die Entsendung von Kriegsschiffen vor die Halbinsel Krim gebeten. Am Freitag wurde russischen Männern im Alter zwischen 16 und 60 Jahren die Einreise verboten – zur „Abwehr einer Invasion“, wie der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, erklärte. Russland verlegt weitere Truppen auf die 2014 annektierte Krim – darunter moderne S-400-Luftabwehrsysteme.
Bisher waren die Maßnahmen beider Seiten vor allem symbolischer Natur. Sollte Russland aber langfristig die Meerenge von Kertsch blockieren und damit den Zugang der Ukraine zu ihren Häfen im Osten des Landes unterbinden, hätte das für Kiew wirtschaftliche und strategische Auswirkungen. Damit könnte sich auch die militärische Lage weiter zuspitzen.
Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wollte in Buenos Aires mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, über die Krise sprechen. Merkels mögliche Nachfolgerin an der CDU-Spitze, Annegret Kramp-Karrenbauer, brachte als mögliche Gegenmaßnahme eine Sperre von EU- und US-Häfen für russische Schiffe aus dem Asowschen Meer ins Spiel.
Mordfall Khashoggi
Gast beim G20-Gipfel in Buenos Aires ist auch Saudiarabiens Kronprinz, Mohammed bin Salman. Es ist der erste Auftritt des Thronfolgers in einer größeren internationalen Runde seit dem Mord am Journalisten und Regimekritiker Jamal Khashoggi. Bin Salman wird international vorgeworfen, die Bluttat in Istanbul in Auftrag gegeben zu haben. Das saudische Königshaus bestreitet dies und macht untergeordnete saudische Beamte für den Mord verantwortlich.
Der Kronprinz versucht in Buenos Aires, sein kaputtes internationales Image, soweit es geht, wieder zu reparieren. Dafür waren einige hochrangige Treffen geplant. Die britische Premierministerin, Theresa May, kündigte im Vorfeld an, dass sie im Gespräch mit bin Salman klare Worte finden werde: „Meine Nachricht an den Kronprinzen ist deutlich. Wir wollen eine vollständige und transparente Untersuchung dessen, was passiert ist.“ Mohammed bin Salman wollte auch den US-Präsidenten Trump, den russischen Präsidenten Putin und Frankreichs Staatsoberhaupt, Emmanuel Macron, treffen.
Zudem wurde mit Spannung erwartet, wie der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, bei dem Gipfel auf den saudischen Kronprinzen reagieren wird. Die türkische Regierung gehört zu den lautesten Kritikern Saudiarabiens im Mordfall Khashoggi. Immerhin wurde der Journalist im saudischen Konsulat im türkischen Istanbul umgebracht. Der Kritiker des saudischen Königshauses stand gleichsam unter dem Schutz Erdoğans. Zudem unterstützt die Türkei das kleine Golfemirat Katar, das im Zuge eines regionalen Machtkampfs von Saudiarabien blockiert wird.
Krieg im Jemen
Mit Kronprinz Salman gibt es auch noch ein anderes wichtiges Thema zu besprechen: den Krieg im Jemen. Saudiarabien führt eine Militärkoalition an, die auf der Seite des jemenitschen Präsidenten, Abd Rabbo Mansur Hadi, gegen die Houthi-Rebellen kämpft. Die Houthi-Milizen werden von Saudiarabiens Erzfeind Iran unterstützt und haben unter anderem Jemens Hauptstadt, Sanaa, unter Kontrolle. Den saudischen Luftschlägen im Jemen fielen zahlreiche Zivilisten zum Opfer. Die Bevölkerung leidet unter Hunger und einem verheerenden Mangel an medizinischer Versorgung. Die UNO bezeichnet die Lage im Jemen als humanitäre Katastrophe. Kommende Woche soll in Schweden unter der Schirmherrschaft der UNO über eine Lösung für den Jemen verhandelt werden. Erste Weichenstellungen könnten schon in Buenos Aires bei Gesprächen mit dem saudischen Kronprinzen vorgenommen werden.
Indien und China
Am Rand des G20-Gipfels wollten auch die Vertreter der asiatischen Riesen China und Indien zusammentreffen. Chinas Präsident, Xi Jinping, und Indiens Premier, Narenda Modi, sollten dabei über engere Wirtschaftsbeziehungen und vertrauensbildende Maßnahmen verhandeln. Zwischen den beiden Nuklearmächte hat es in der Vergangenheit immer wieder Spannungen gegeben – unter anderem wegen eines Grenzstreits im Himalaja. Nun wollen Indien und China gemeinsame Militärmanöver abhalten. Zudem planten Xi und Modi, über eine Liberalisierung des Handels zu sprechen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2018)