Omar Khadr: Der Kindersoldat vor dem Militärtribunal

Omar Khadr Kindersoldat Militaertribunal
Omar Khadr Kindersoldat Militaertribunal(c) Reuters (Michelle Shephard)
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In Guantánamo findet die Anhörung von Omar Khadr statt, der mit 15 in Afghanistan verhaftet wurde. Er hat gestanden, 2002 bei einem Gefecht einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet zu haben.

Meterhohe Stacheldrahtzäune trüben die wolkenlose, karibische Idylle. Rund um das kleine Gerichtsgebäude, in dessen Fensterscheiben sich die Sonne spiegelt, drängen sich hunderte schwer bewaffnete US-Soldaten. An kaum einem Ort der Welt herrschen strengere Sicherheitsvorschriften als hier in Guantánamo Bay, wo noch immer knapp 200 der vermeintlich gefährlichsten Menschen der Welt festgehalten werden.

Doch seit Mittwoch ist die Anspannung im US-Gefangenenlager spürbar größer: Die vorentscheidende Anhörung des wohl bekanntesten Häftlings hat begonnen. Seit knapp acht Jahren wird der gebürtige Kanadier Omar Khadr in Guantánamo festgehalten. Er hat gestanden, bei einem Gefecht im Juli 2002 in Afghanistan einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet zu haben. Khadr war damals 15 Jahre alt, er wurde im Zuge des Kampfes selbst schwer verletzt.

Folter und Schlafentzug

Im klimatisierten Gerichtssaal herrscht völlige Stille. Knapp 50 Personen haben Platz genommen, um den Auftakt der Anhörung zu verfolgen. Drei Soldaten führen den jungen, bärtigen Mann langsam in den Raum und nehmen ihm die Fußfesseln und Handschellen ab. Khadr trägt ein weißes T-Shirt. Er wirkt ungepflegt, aber bei vollen Kräften. Freundlich schüttelt der Angeklagte seinen Anwälten die Hand und nimmt neben ihnen Platz.

Bereits in seinem Eröffnungsplädoyer macht sein Verteidiger Barry Coburn klar, worum es bei dieser Anhörung geht: Der Anwalt beschuldigt die US-Ermittler der schweren Folter. „Diesem Mann (Khadr, Anm.) wurden Plastiksäcke über den Kopf gestülpt. Er wurde brutal geschlagen und ihm wurde Vergewaltigung angedroht.“

Coburn spricht auch von Schlafentzug. Man habe den Jugendlichen so lange wach gehalten, bis er „alles zugegeben hat, was man von ihm wissen wollte“. Aus diesem Grund seien sämtliche Geständnisse Khadrs ungültig und dürften nicht zu dem für Juli geplanten Prozess zugelassen werden.

Unter dem von Expräsident George W. Bush im Jahr 2006 erlassenen Gesetz für Militärtribunale hätte selbst Folter wenig an den Geständnissen geändert. Doch Barack Obama erließ 2009 einen neues Gesetz. Wird nun nachgewiesen, dass Khadrs Geständnis unter Folter erfolgte, könnte er schon bald freikommen.

Verbindungen zu al-Qaida?

Der mittlerweile 23-Jährige hört seinem Anwalt interessiert zu und lächelt immer wieder. Er könnte auch persönlich Stellung nehmen, tut das aber nicht. „Mein Mandant hat schwere Schäden davongetragen, körperlich und psychisch. Wir müssen vorsichtig sein, dass er nichts Falsches sagt“, erklärt Coburn im Gespräch mit der „Presse“. Denn die Anklage könnte jedes schlechte Wort über die USA gegen Khadr verwenden.

Der Familie Khadr wird direkter Kontakt zu Osama bin Laden nachgesagt. Der Vater wurde 2003 während eines Gefechts im Westen Pakistans getötet. Einer von Omar Khadrs Brüder, Abdullah, sitzt in Kanada in Haft. Er hat zugegeben, Waffen an die al-Qaida verkauft zu haben. Nicht zuletzt deshalb sieht die Anklage in Omar Khadr eine „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Wird er im Juli schuldig gesprochen, droht ihm lebenslange Haft.

Soweit wird es nicht kommen, meint Coburn. „Es wäre das erste Mal in der US-Geschichte, dass ein zum Zeitpunkt der Tat 15-Jähriger von einem Militärtribunal verurteilt wird“, sagt Anwalt Coburn. Coburn stellt aber die Unabhängigkeit des Richters in Frage. „Er gehört ebenso wie die Ankläger zum Verteidigungsministerium.“ Tatsächlich sind sowohl die drei Vertreter der Anklage wie auch der Richter von der Regierung entsandt. Deshalb spricht die Verteidigung immer wieder von einem „Schauprozess“. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren Kanada scharf, weil es nach wie vor keinen Auslieferungsantrag für Omar Khadr gestellt hat.

Der 23-jährige bekommt von den juristischen Details nicht viel mit. Er wirkt nervös und ungeduldig. Während die Anwälte diskutieren, zeichnet er Smiley-Gesichter auf ein Blatt Papier. Seine linke Ferse hebt er im Sekundentakt vom Boden ab.

Schließlich beendet Richter Pat Parrish den ersten Tag der Anhörung. Die drei Soldaten legen Khadr die Fußfesseln und Handschellen wieder an und bringen ihn zurück ins Camp IV, eines von sieben Lagern, die in Guantánamo noch in Betrieb sind.

Das Camp der Folgsamen

Je nach Benehmen werden die Häftlinge den unterschiedlichen Camps zugeteilt, im Camp IV findet man die „folgsamsten“. Omar Khadr übersiedelte erst vor wenigen Monaten aus dem Hochsicherheitstrakt dorthin. In einem zwanzig Meter langen Käfig können sich die rund 80 Häftlinge bis zu acht Stunden pro Tag frei bewegen. „Das ist die Belohnung für jene, die alle Regeln befolgen“, erklärt der Soldat beim Eingang – so wie Omar Khadr.

„Vielleicht ist er überhaupt bald frei“, meint der rund 20-jährige Rekrut beim Eingang. Wie die meisten seiner Kameraden in Guantánamo hat auch er sein Namensschild abgenommen. „Es muss ja nicht jeder wissen, was ich mache.“

ZUR PERSON

Omar Khadr (*1986 in Kanada) wurde im Juli 2002 im Alter von 15 Jahren nach einem Gefecht in Afghanistan, bei dem er einen US-Soldaten getötet haben soll, festgenommen. Er ist der letzte Bürger eines westlichen Staates, der in Guantánamo festgehalten wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2010)

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