EU an Johnson: Mehr Zeit, aber kein neues Brexit-Abkommen

Michel Barnier sieht nach wie vor keine Alternative zum vorbereiteten Austritts- abkommen.
Michel Barnier sieht nach wie vor keine Alternative zum vorbereiteten Austritts- abkommen.(c) REUTERS (ERIC VIDAL)
  • Drucken

In Brüssel tritt man dem vermutlich nächsten britischen Premierminister Johnson und seinen Forderungen nach Neuverhandlungen des britischen EU-Austritts gelassen entgegen. Auch in der Frage der irisch-nordirischen Grenze bleiben die Europäer standhaft.

Brüssel. Wie blank die Nerven der britischen Öffentlichkeit in der Angelegenheit des nicht und nicht glücken wollenden Brexit liegen, ließ sich am Freitag einmal mehr beobachten. Wenn es gelinge, nach dem Austritt der Briten aus der EU eine Grenze mit Kontrollen zwischen Irland und Nordirland zu vermeiden, obwohl dort der EU-Binnenmarkt ende, sei der Backstop nicht mehr relevant, sagte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel. Der Backstop, also die Notlösung zur Verhinderung einer harten irisch-nordischen Grenze, könne diesfalls „überschrieben“ werden. Und, fügte Merkel hinzu: Wenn Großbritannien noch mehr Zeit braucht, sollten wir ihnen mehr Zeit geben.“

Damit sprach die Kanzlerin bloß das aus, was vor ihr schon etliche andere europäische Politiker gesagt hatten, und was seit Beginn der Mühen des britischen Austritts aus der EU unerschütterliche Position der Mitgliedstaaten der Union ist. In den britischen Medien sorgten diese Aussagen Merkels jedoch für Schnappatmung und wurde mancherorts als Anzeichen gedeutet, dass die Europäer doch noch das vor Monaten mit Premierministerin Theresa May fertig verhandelte Austrittsabkommen zu öffnen bereit seien, allen voran den für die Brexit-Anhänger verhassten Backstop.

„EU für alle Szenarien vorbereitet“

Nichts könnte ferner der politischen Realität sein. In Brüssel glaubt dreieinhalb Monate vor dem Stichtag für den geordneten Brexit am 31. Oktober niemand ernsthaft, dass London diese Frist wird einhalten können. Auf einen ungeregelten harten Brexit hat sich die Union zwar insofern vorbereitet, als sie allerlei Notgesetze verabschiedet hat, die beispielsweise verhindern sollen, dass am 1. November um Mitternacht Flugzeugen aus dem Vereinigten Königreich der Luftraum der EU verwehrt bleibt oder die Züge unter dem Ärmelkanal umdrehen müssen. Man möchte dieses dennoch wirtschaftlich höchst schädliche Szenario vermeiden und folglich dem nächsten Premierminister mehr Zeit geben, um das Brexit-Abkommen doch noch einer Mehrheit des Parlaments in Westminster schmackhaft zu machen. Doch in der Sache gibt es nichts mehr zu ändern. „Das Austrittsabkommen steht nicht zur Neuverhandlung an“, erklärte Irlands Außenminister Simon Coveney vor seinem Treffen mit Michel Barnier, dem Brexit-Verhandler der EU. „Wir sind für alle Szenarien vorbereitet“, teilt Barnier mit.

Sollte Johnson übrigens meinen, er könne die EU gleichzeitig mit der Zurückhaltung ausständiger Beitragszahlungen erpressen und ein Handelsabkommen mit ihr abschließen, darf er sich auf besonders harte und effiziente Opposition vorbereiten: Sabine Weyand, Barniers rechte Hand in den Brexit-Verhandlungen, leitet seit Kurzem in der Europäischen Kommission die Generaldirektion für Außenhandel. (go)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

Die EU bereitet den Boden für den Brexit vor

Das Angebot an Boris Johnson, binnen 30 Tagen einen alternativen Austrittsdeal vorzulegen, dient primär dazu, die Schuld für den drohenden Crash von der EU zu weisen.
Europa

Johnson witzelt bei Merkel: „Wir schaffen das!“

Merkel gibt Johnson bei dessen Besuch in Berlin implizit 30 Tage Zeit, eine Lösung in der Irland-Frage vorzulegen. Auch in Paris erwartet den britischen Premier am Donnerstag harter Gegenwind. Im Vorfeld des Besuchs warnte Frankreichs Präsident Macron: Die USA könnten die EU nicht ersetzen.
Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ist 499 Kilometer lang – und lässt sich wegen ihres mäandernden Verlaufs und der mehr als 200 befahrbaren Grenzübergänge nur äußerst schwierig kontrollieren.
Europa

Großbritannien/EU: Warum am Backstop kein Weg vorbeiführt

Die Brexit-Rückversicherung, die Kontrollen an der irischen Grenze verhindern soll, sorgt für neuen Streit zwischen London und Brüssel.
Vor seiner diplomatischen Offensive besuchte Johnson am Montag noch das Royal Cornwall Hospital in Truro, um seinen Einsatz für das britische Gesundheitssystem zu dokumentieren
Europa

Boris Johnson startet diplomatische Brexit-Offensive

Der britische Premier bietet in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk nicht näher definierte Alternativen zum Backstop an. EU-Treffen will Großbritannien ab 1. September großteils fernbleiben.
Wer nicht britischer Staatsbürger ist, den erwarten ab 31. Oktober genauere Kontrollen bei der Einreise.
Europa

Der Brexit soll die Personen-Freizügigkeit unmittelbar beenden

Der neue Premier Boris Johnson verfolgt einen restriktiveren Kurs als seine Vorgängerin May. Er sieht keine Übergangsperiode mehr vor und erhöht den Druck auf die EU.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.