In Brüssel tritt man dem vermutlich nächsten britischen Premierminister Johnson und seinen Forderungen nach Neuverhandlungen des britischen EU-Austritts gelassen entgegen. Auch in der Frage der irisch-nordirischen Grenze bleiben die Europäer standhaft.
Brüssel. Wie blank die Nerven der britischen Öffentlichkeit in der Angelegenheit des nicht und nicht glücken wollenden Brexit liegen, ließ sich am Freitag einmal mehr beobachten. Wenn es gelinge, nach dem Austritt der Briten aus der EU eine Grenze mit Kontrollen zwischen Irland und Nordirland zu vermeiden, obwohl dort der EU-Binnenmarkt ende, sei der Backstop nicht mehr relevant, sagte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel. Der Backstop, also die Notlösung zur Verhinderung einer harten irisch-nordischen Grenze, könne diesfalls „überschrieben“ werden. Und, fügte Merkel hinzu: Wenn Großbritannien noch mehr Zeit braucht, sollten wir ihnen mehr Zeit geben.“
Damit sprach die Kanzlerin bloß das aus, was vor ihr schon etliche andere europäische Politiker gesagt hatten, und was seit Beginn der Mühen des britischen Austritts aus der EU unerschütterliche Position der Mitgliedstaaten der Union ist. In den britischen Medien sorgten diese Aussagen Merkels jedoch für Schnappatmung und wurde mancherorts als Anzeichen gedeutet, dass die Europäer doch noch das vor Monaten mit Premierministerin Theresa May fertig verhandelte Austrittsabkommen zu öffnen bereit seien, allen voran den für die Brexit-Anhänger verhassten Backstop.
„EU für alle Szenarien vorbereitet“
Nichts könnte ferner der politischen Realität sein. In Brüssel glaubt dreieinhalb Monate vor dem Stichtag für den geordneten Brexit am 31. Oktober niemand ernsthaft, dass London diese Frist wird einhalten können. Auf einen ungeregelten harten Brexit hat sich die Union zwar insofern vorbereitet, als sie allerlei Notgesetze verabschiedet hat, die beispielsweise verhindern sollen, dass am 1. November um Mitternacht Flugzeugen aus dem Vereinigten Königreich der Luftraum der EU verwehrt bleibt oder die Züge unter dem Ärmelkanal umdrehen müssen. Man möchte dieses dennoch wirtschaftlich höchst schädliche Szenario vermeiden und folglich dem nächsten Premierminister mehr Zeit geben, um das Brexit-Abkommen doch noch einer Mehrheit des Parlaments in Westminster schmackhaft zu machen. Doch in der Sache gibt es nichts mehr zu ändern. „Das Austrittsabkommen steht nicht zur Neuverhandlung an“, erklärte Irlands Außenminister Simon Coveney vor seinem Treffen mit Michel Barnier, dem Brexit-Verhandler der EU. „Wir sind für alle Szenarien vorbereitet“, teilt Barnier mit.
Sollte Johnson übrigens meinen, er könne die EU gleichzeitig mit der Zurückhaltung ausständiger Beitragszahlungen erpressen und ein Handelsabkommen mit ihr abschließen, darf er sich auf besonders harte und effiziente Opposition vorbereiten: Sabine Weyand, Barniers rechte Hand in den Brexit-Verhandlungen, leitet seit Kurzem in der Europäischen Kommission die Generaldirektion für Außenhandel. (go)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)