Theresa May pokerte mit dem britischen Parlament - ohne Erfolg. Boris Johnson versucht hingegen, Druck direkt auf die EU-Staaten aufzubauen. Er wolle ja verhandeln, aber die EU nicht.
Für den britischen Premierminister Boris Johnson ist eines klar: Am 31. Oktober wird das Vereinigte Königreich endgültig die EU verlassen - zur Not ohne Deal. Aber wird er zuvor noch einen Versuch unternehmen, mit der EU ein Abkommen zu treffen? Darüber wird in britischen Medien gerade intensiv spekuliert - in unterschiedlichen Tonarten.
Der britische Premierminister Boris Johnson habe nicht die Absicht, das Brexit-Abkommen neu zu verhandeln, berichtete der "Guardian" am Dienstag unter Berufung auf EU-Diplomaten. Stattdessen sei sein zentrales Szenario ein EU-Austritt ohne Vereinbarung.
"Es war klar, dass Großbritannien keinen Plan B hat", zitierte die Zeitung einen hochrangigen EU-Diplomaten nach einem Treffen zwischen dem neuen britischen Europa-Chefberater David Frost und europäischen Diplomaten. "Keine Absicht zu verhandeln, was einen Plan erfordern würde...Ein Brexit ohne Abkommen scheint jetzt das zentrale Szenario der Regierung zu sein."
„Wir wollen ein Abkommen"
Aus Regierungskreisen wurde der Bericht prompt dementiert. Johnson sei "bereit und willig", mit der EU einen neuen Austrittsvertrag zu verhandeln. Ein Regierungsvertreter, der allerdings anonym bleiben wollte, beschuldigt die EU, nicht an Gesprächen interessiert zu sein: "Wir wollen ein Abkommen. Es ist schade, dass sie nicht mit uns verhandeln wollen". Das von der früheren Premierministerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen ist dreimal im britischen Unterhaus gescheitert.
Die EU-Kommission sieht derzeit keine Basis für weitere Brexit-Verhandlungen und befürchtet deswegen einen ungeregelten britischen EU-Austritt. Wie Diplomaten am Dienstag berichteten, wurden Vertreter der verbleibenden 27 EU-Staaten zuletzt noch einmal darüber informiert, dass die Forderungen des neuen britischen Premierministers Boris Johnson unvereinbar mit der EU-Position seien.
Johnson will demnach unbedingt das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen wieder aufschnüren, um die sogenannte Backstop-Klausel zu eliminieren. Die EU lehnt das kategorisch ab.
Es geht immer noch um den Backstop
Die Backstop-Klausel soll aus EU-Sicht verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Johnson sieht in der Garantieklausel hingegen ein "Instrument der Einkerkerung", weil sie das britische Nordirland in Zollunion und Binnenmarkt halten könnte, wenn bei den noch ausstehenden Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien keine Einigkeit erzielt wird.
Wie es in den nächsten Wochen weitergeht, ist nach Angaben von Diplomaten unklar. Niemand wisse, ob Johnson nur pokere, um die EU zum Einknicken zu bringen - oder ob er Großbritannien wirklich ohne Austrittsabkommen aus der EU führen würde. Letzteres Szenario dürfte vor allem für die Wirtschaft erhebliche Konsequenzen haben, weil nach derzeitigem Stand der Dinge wieder Zölle und Grenzkontrollen eingeführt werden müssten.
(APA/Reuters)