Boris Johnson hat bereits gewonnen

In Westminster tritt erstmals seit dem Falkland- Krieg das Unterhaus in einer Sondersitzung an einem Samstag zusammen.
In Westminster tritt erstmals seit dem Falkland- Krieg das Unterhaus in einer Sondersitzung an einem Samstag zusammen.Bloomberg
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Die Parlamentsentscheidung über den Brexit-Deal wird knapp. Wie immer sie ausgeht, wird sie die Position des Premierministers stärken.

London. Zurückhaltung ist nicht eine der hervorstechenden Charaktereigenschaften des britischen Premierministers. „Sehr zuversichtlich“ sei er, dass sein Brexit-Deal heute, Samstag, in einer historischen Sondersitzung des Parlaments eine Mehrheit bekommen werde, verkündete Boris Johnson strahlend nach seiner Einigung mit der EU am Donnerstagabend in Brüssel. Doch bei aller Selbstaufmunterung war eines klar: Es wird knapp werden.

Vorausgesetzt, dass niemand sich der Stimme enthält, braucht Johnson 320 Stimmen. Seine konservative Fraktion zählt nur 287 Abgeordnete. Wie kann der Premierminister dennoch zu einer Mehrheit kommen? Zuallererst muss sichergestellt werden, dass die eigene Partei geschlossen für den Deal stimmt. Das schließt auch die 28 Brexit-Ultras der European Research Group (ERG) ein, denen bisher selbst ein harter Brexit nicht hart genug war. „Die Wahl unserer Mittel wird mittelalterlich sein“, drohte einer der Klubchefs grimmig.

Außerhalb seines Lagers bemüht sich Johnson um drei Gruppen: die nordirischen Unionisten (DUP) mit zehn Mandaten; eine Gruppe von mindestens 19 Labour-Abgeordneten aus Brexit-Wahlkreisen, die schon Bereitschaft zur Zustimmung zum Deal haben erkennen lassen; und 21 Unabhängige, die von Johnson aus der Tory Party ausgeschlossen worden sind.

DUP bekräftigt ihr Nein

Sofern überhaupt eine Bewegung zwischen der Regierung und der bisher mit ihr verbündeten DUP erkennbar war, war es zuletzt eine, die auseinanderlief. Der Abgeordnete Sammy Wilson rief offen zum Widerstand auf: „Die Konservativen müssen Position für das Vereinigte Königreich beziehen und mit uns diesen Deal ablehnen.“ DUP-Fraktionschef Nigel Dodds warf Johnson den „Ausverkauf britischer Interessen“ an die EU vor. Er bekräftigte das Nein der DUP und schloss eine Stimmenthaltung aus.

Mehr Hoffnung konnte sich die Regierung auf Signale aus der Labour Party machen. Einer der Parteirebellen, John Mann, kündigte bereits seine Zustimmung an und ergänzte: „Wir werden sicher mehr als neun sein.“ Auf Vorstöße, Rebellen – nach dem Vorbild Johnsons – mit dem Parteiausschluss zu drohen, entgegnete Finanzsprecher John McDonnell, er glaube „an die Kraft der Überredung“. Labour werde „geschlossen auftreten“. Keine Zustimmung konnte sich Johnson von Liberaldemokraten, schottischen Nationalisten und den Grünen erwarten.

Hoffnung auf moderate Konservative

Viel böses Blut floss zuletzt auch zwischen dem Premierminister und moderaten Konservativen. Nun wurde aber erwartet, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen in den Schoß der Partei zurückkehren wird. Einer von ihnen, Richard Benyon, twitterte: „Ich werde für den Deal stimmen.“ Auch Churchill-Enkel Nicholas Soames und Ex-Kanzleramtsminister Oliver Letvin werden ihm ihre Zustimmung geben: „Mir gefällt vieles daran nicht, aber es ist besser als kein Deal“, meinte Letvin.

Wenige Stunden vor der Abstimmung war die Situation so offen, dass jeder Beobachter zu anderen Prognosen kam: Die „Financial Times“ errechnete eine Niederlage von 318 zu 321 für Johnson, der Sender Sky News räumte ihm hingegen Chancen auf 323 Stimmen und damit die Mehrheit ein. In einer Vorstandssitzung soll Labour-Stratege Seamus Milne bereits eingeräumt haben: „Johnson wird gewinnen.“

In Wahrheit hat der Premier allein mit der Vorlage eines Deals bereits gewonnen. Seine Bulldozzer-Strategie wird nun als „einzig richtiger Weg“ (so der Hardliner Steven Baker) gefeiert. Von den Brexit-Wählern kann er sich als der Mann feiern lassen, der sein Versprechen gehalten und den EU-Austritt geliefert hat. Erneut gab er die Parole aus „Mein Deal oder kein Deal, aber keine Verlängerung“.

Sollte jetzt noch etwas dazwischenkommen, wird Johnson andere dafür verantwortlich machen: Bei einer Abstimmungsniederlage wird er seinen Vorwurf wiederholen, dass das Parlament sich dem Willen des Volks widersetze. Gegen den Willen der Regierung haben sich die Abgeordneten das Recht eingeräumt, in der heutigen Sitzung Zusatzanträge einbringen zu können. Eine weitere Verschiebung bis zur Fertigstellung aller rechtlichen Texte, eine Verknüpfung des Deals mit einer neuen Volksabstimmung oder ein Misstrauensvotum gegen die Regierung – all diese Varianten standen im Raum. Keine konnte ausgeschlossen werden, aber keine war eine echte Gefahr für Johnson, der auch Neuwahlen nach aktuellen Umfragen nicht fürchten muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2019)

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