Niederlande: Frische Brise für das Land der Windmühlen

(c) EPA (Ed Oudenaarden)
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Ein heißer Wahlkampf geht zu Ende - und womöglich auch die politische Karriere von Ministerpräsident Balkenende. In Umfragen liegt die rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie weit vorn.

Den Haag. Die Karikatur ist wie ein Dolchstoß. Sie zeigt den niederländischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende. Über seinem Kopf ist ganz klein zu lesen: „Balken“, darunter fett und groß: „Ende“. Deutlicher kann man es wohl nicht sagen.

Dass die Karikatur zudem in der größten niederländischen Tageszeitung, dem „Telegraaf“ abgedruckt wird, spricht für sich. Denn der „Telegraaf“ steht den Christdemokraten, deren Spitzenkandidat Balkenende ist, in politischer Hinsicht nicht sehr fern. In den meisten Medien wird bereits offen die bevorstehende Niederlage der niederländischen Christdemokraten bei den Parlamentswahlen am morgigen Mittwoch diskutiert. Denn die aktuellen Umfragen prognostizieren eine verheerende Wahlniederlage für Balkenende. Außerdem hatte Balkenende schon im Wahlkampf festgelegt, dass für ihn keine Ministerrolle infrage komme, sondern nur der Posten des Regierungschefs. Damit scheint er sich sein eigenes Grab geschaufelt zu haben.

Senkrechtstarter Mark Rutte

Einen grandiosen Wahlsieg sagen die Umfragen hingegen der rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie VVD mit ihrem Spitzenkandidaten Mark Rutte vorher. Der 43-jährige Senkrechtstarter ließ in den TV-Debatten seine Gegenkandidaten alt aussehen. Der frühere Personalchef des Konzerns Unilever wirkte nicht nur frisch und unverbraucht, sondern besonders in wirtschaftlichen Fragen äußerst kompetent. Er war der Einzige der vier Parteichefs, der zu Einsparungen im Staatshaushalt ein durchdachtes Konzept auf den Tisch legen konnte.

Besonders gespannt ist man in Holland auch auf das Abschneiden der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit PVV des Islam-Kritikers Geert Wilders. Sie wird in allen Umfragen als viertstärkste politische Kraft im Windmühlenland gehandelt. Rein rechnerisch wäre eine bürgerlich-rechte Koalition aus Christdemokraten, Partei für Freiheit und Demokratie sowie der Wilders-Partei nach dem Urnengang am 9. Juni eine reelle Option, meinen die Demoskopen. Doch bei den Christdemokraten gibt es große Vorbehalte gegen eine Regierungskoalition mit den Populisten.

Inhaltlich hat überrascht, dass das Thema Afghanistan überhaupt keine Rolle spielte, obwohl genau die Frage, ob die Niederlande mit ihren Isaf-Truppen bis Ende 2011 am Hindukusch bleiben sollten oder nicht, zum Bruch der Koalitionsregierung geführt hatte. Stiefmütterlich behandelt wurde in den vielen TV-Debatten der Spitzenkandidaten auch die Finanz- und Eurokrise.

Kampf um Pension und Zinsen

Zwei rein innenpolitische Themen dominierten den Wahlkampf. Das erste: die Steuerabzugsfähigkeit der Hypothekenzinsen. Das zweite: die Erhöhung des Rentenalters. Auf die Verhinderung Letzteres versteifte sich die Wilders-Partei. Sie will keiner Koalition beitreten, die das Pensionsalter von bisher 65 auf 67 Jahre erhöht. Geert Wilders und seiner Partei ist es im Wahlkampf auch gelungen, sich vom Image, eine Ein-Thema-Partei zu sein, die nichts als islamkritisch ist, zu befreien. Wilders besetzte auch Themen der Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik.

Das heißeste Thema aber waren und sind die Hypothekenzinsen. Die Möglichkeit, Hypothekenzinsen von der Steuer abzusetzen, gibt es in dieser Form außer in den Niederlanden auch in der Schweiz. Geht es nach den bürgerlich-rechten Parteien ändert sich daran auch nichts. Fast alle links gerichteten Parteien wie die Arbeiterpartei PvdA, die Grünen (GL), die linksliberale D66 oder die Sozialisten (SP) sind anderer Meinung. Sie wollen diese Möglichkeit, den Kauf eines Eigenheims steuerbegünstigt zu finanzieren, abschaffen.

Würde dies geschehen, dann könnte den Niederlanden ein ähnlicher Immobiliencrash wie in den USA 2007/2008 drohen, warnen die Befürworter der Steuerbegünstigung. Sie befürchten, dass die Immobilienpreise dann rapide sinken würden und viele Eigentümer mit hohen Hypotheken gezwungen wären, ihre Häuser zu verkaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2010)

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