Wirtschaft und Industrie kämpfen für Gesamtschule

(c) APA (Herbert Pfarrhofer)
  • Drucken

WKÖ-Präsident Leitl und IV-Chef Sorger drängen auf eine Förderung unter einem Dach. Leitl: "Kernstück einer Bildungsreform „vom Kindergarten bis zum Altersheim“ müsse Gesamtschule für alle Zehn- bis 14-Jährigen sein."

WIEN (pö). Jetzt schalten sich auch Wirtschaft und Industrie in die Gesamtschuldebatte ein. Sind sie schon früher getrennt voneinander dafür eingetreten, so üben Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sowie der Chef der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, den Schulterschluss für eine gemeinsame Schule bis 14: Nach Jahrzehnten der Blockade durch SPÖ und ÖVP sei die Zeit für eine umfassende Bildungsreform noch nie so günstig gewesen wie jetzt, sagten die Interessenvertreter am Montagabend unisono vor Journalisten in Wien. Immerhin säßen mit ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl und SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied aktuell zwei „mutige“ Politikerinnen an zentraler Stelle in der Regierung.

Kernstück einer Bildungsreform „vom Kindergarten bis zum Altersheim“ müsse eine Gesamtschule für alle Zehn- bis 14-Jährigen sein, sagte Leitl. Denn damit könne man das „Begabungs- und Kreativitätspotenzial unserer Leute“ optimal ausschöpfen. So auch jenes von Kindern armer oder wenig gebildeter Eltern. Der Standort Österreich könne es sich nicht leisten, im internationalen Wettbewerb darauf zu verzichten, sagte der WKÖ-Chef.

Mit seinem Plädoyer für eine Gesamtschule steht er allerdings gegen die offizielle Linie seiner Partei, dessen Vorstand der WKÖ-Chef angehört. Denn die ÖVP unter Vizekanzler Josef Pröll gibt sich weiterhin ablehnend zu einer gemeinsamen Schule. Pröll hat den Vorstoß von Ministerin Karl vor wenigen Wochen als „persönliche Meinung“ abgetan und will sich auch nicht näher zu weiteren Plädoyers von ÖVP-Politikern für die Gesamtschule äußern. Bis Herbst wolle man parteiintern Positionen austauschen, erst dann ein neues gemeinsames Konzept zur Bildungspolitik vorlegen. Leitl sagte dazu, „als Präsident einer überparteilichen Einrichtung sage ich, was wichtig ist fürs Land, und nicht, was wichtig für die Partei ist“.

Die Aufteilung von Schülern auf Gymnasien und Hauptschulen komme mit zehn Jahren zu früh, schließt er sich einem traditionellen SPÖ-Argument an. „Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass auch andere im Trend richtig liegen.“ Der oberösterreichische Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer (ÖVP) habe sich als „nützlich im Meinungsbildungsprozess“ erwiesen, meinte Leitl. Enzenhofer hat sich in der „Presse am Sonntag“ für eine gemeinsame Schule für Zehn- bis 14-Jährige unter „idealen“ Bedingungen ausgesprochen.

Damit eine gemeinsame Schule funktioniert, müssten auch für den WKÖ-Chef „Begabungsschwerpunkte“ verwirklicht werden. „Wir müssen nach Leistung und Talent differenzieren“, sagte er. Das Hauptaugenmerk müsse den Stärken der Schüler gelten, nicht ihren Schwächen, die aber auch ausgemerzt werden müssten.

Sorger kontra Bezirksschulräte

„Leistungsorientierung zählt“, betonte auch IV-Chef Sorger. Eliten dürften dabei nicht länger als „Spaltpilz“ und negativ aufgefasst werden, sondern sie müssten als positiv gelten. „Und auch wer nicht mitkommt, gehört gefördert.“

Für ein breites Angebot brauche es mehr Lehrer, was sich mithilfe einer Verwaltungsreform finanzieren lasse, so Sorger. Österreichs Verwaltung sei „besonders ineffizient“, sagte er zu Erhebungen, wonach von zwei Euro aus dem Bildungsbudget nur ein Euro bei Schülern und Lehrern ankommt. Zu viele Lehrer würden, statt zu unterrichten, Verwaltungsarbeit leisten. Das System müsse gestrafft werden. Sorger will zum Beispiel, so wie Leitl, die Bezirksschulräte abschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Wie sieht die ideale (Gesamt-)Schule aus?

Immer mehr ÖVP-Politiker sind für eine gemeinsame Schule. "Die Presse" fragte Experten, wie diese funktionieren könnte.
Leitartikel

Lasst uns Tacheles über die neue Schule reden

Wer nicht riskieren will, dass mit der Gesamtschule ein Run auf Privatschulen einsetzt, muss ernsthaft reformieren.
''Stalin, Eintopf, Spät-Achtundsechziger''

Zitate zur Gesamtschule

Schule

"Die Presse" befragt Experten

"Die Presse" befragt vier Experten über die gemeinsame Schule.
Gesamtschule soll Parallelen Stalins
Schule

Gesamtschule mit Stalins Diktatur verglichen

Furcht vor einer "Zwangskollektivierung" an den Schulen. Unterrichten würden dort lediglich "billige Retorten-Pädagogen".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.