Lebenswerk eines Stararchitekten

„Der Peichl“: Kein „Viel-Bauer“, aber ein vielseitiger Architekt

Gustav Peichl.
Gustav Peichl.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Mit den „Kistenbauern“ konnte er sich nie anfreunden, Architektur ohne Humor sei langweilig, und jedes Haus sollte sinnliche Zonen haben. Peichl schuf so Verschiedenes wie die Landesstudios des ORF, die Bundeskunsthalle Bonn und den „Obelix-Turm“.

„Ich soll mich vorstellen? Ihr wisst doch, wer ich bin.“ So lautete Gustav Peichls erste Antwort in einem Interview mit einem studentischen TV-Magazin. Ja, man kennt ihn, kannte ihn. In der Fachwelt war er schlicht „der Peichl“. Die Medien versahen ihn stets mit dem Prädikat „Stararchitekt“, und er war wohl einer von wenigen, die diesen Titel mit Recht und Würde trugen. Seine Popularität verdankte er zu einem gewissen Teil seiner Arbeit als Karikaturist unter dem Pseudonym Ironimus, wie auch der Signifikanz seiner Bauten – aber ebenso der Tatsache, dass er sich bis zuletzt nicht scheute, zum aktuellen politischen wie architektonischen Geschehen pointiert Stellung zu beziehen.

Geboren 1928 – ein „Revoluzzer-Jahrgang“, wie er selbst sagte, den er mit Friedensreich Hundertwasser, Alfred Hrdlicka, Helmut Qualtinger teilt – ist er im zweiten Wiener Bezirk aufgewachsen. Ab 1938 besuchte er die Oberschule im Geburtsort seiner Mutter in Mährisch-Trübau, wo er ab 1944 ein Praktikum im Stadtbauamt absolvierte. Zurück in Wien besuchte er nach dem Krieg die Gewerbeschule in Mödling und in Linz. Sein Architekturstudium absolvierte er bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste in Wien, deren Profil er später selbst als Ordinarius und Meisterschulleiter 21 Jahre lang prägen sollte.

Durchbruch mit ORF-Landesstudios

Sein eigenes Architekturbüro führte er seit 1955, erste Arbeiten waren die Betriebszentrale der Newag (heute EVN) in Maria Enzersdorf (gemeinsam mit Wilhelm Hubatsch und Franz Kiener) sowie sein der kubischen, weißen Moderne verpflichtetes eigenes Wohnhaus in Grinzing, wo er bis zuletzt lebte. Der Durchbruch gelang ihm 1972 mit den Landesstudios für den ORF, die er selbst neben der Bundeskunsthalle Bonn (1992) als seine wichtigsten Bauten wertete. In Deutschland entstand zuvor im Rahmen der Internationalen Bauausstellung die zur Trinkwasserverbesserung des Tegeler Sees in Berlin errichtete Phosphateliminationsanlage (1980–85). Später realisierte er die Erweiterung des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main (1987–1990) sowie die Kindertagesstätte des Deutschen Bundestags (1997–99), um nur die bekanntesten seiner 23 Bauten in Deutschland zu nennen. Sein umfangreiches Skizzenmaterial hat Peichl im vergangenen Jahr dem Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin übergeben.

Das Bild seiner Heimatstadt Wien hat er im ausgehenden 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Die Platte, auf der heute die Donau City wuchert, war seine Idee. Aus dem mit Arata Isozaki entworfenen Hochhauspaar ebendort ist zwar nichts geworden. In der Skyline Transdanubiens ist Peichl dennoch präsent: mit dem Millennium Tower (1999, mit Boris Podrecca und Rudolf Weber) und dem blau-weiß gestreiften Wohnturm in der Kratochwjlestraße (1998), mit dem er „etwas Heiteres“ schaffen wollte und dem der Volksmund den Spitznamen „Obelix“ verpasste. Außerdem schuf er das Messezentrum mit dem Messeturm (2003) und das geriatrische Pflegekrankenhaus in der Tokiostraße (2006). Eine besondere Physiognomie verlieh Peichl auch dem Karikaturmuseum in Krems, ein Haus mit Narrenkappe und Clownnase, in dem auch eine große Sammlung seiner Karikaturen eine Heimat fand.

Nie anfreunden konnte er sich mit „Kistenbauern“. Jedes Haus solle sinnliche Zonen haben, Architektur ohne Humor sei fad, betonte Peichl stets. Das von ihm entworfene bogenförmige Fertighaus sticht in diesem Segment hervor. Trotz Prominenz und Präsenz war er kein extremer „Viel-Bauer“, aber einer, der leidenschaftlich viel Verschiedenes schuf. Mit seinem überraschenden Tod verliert Österreich einen großen Künstler und einen der bedeutendsten Architekten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2019)

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