„Kadavergehorsam bei den Grünen“

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bdquoKadavergehorsam Gruenenldquo(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Frauen gegen Männer, linke Jungfunktionäre gegen alte Bürgerliche: Interview mit dem abgesägten Bezirkschef Rahdjian. Das Vorgehen der Partei war für ihn "menschlich enttäuschend" und "desillusionierend".

WIEN. Es ist der Tag danach. Heribert Rahdjian (74) hat sich beruhigt – aber nicht viel. Zu „menschlich enttäuschend“, zu „desillusionierend“ waren die vergangenen Tage: Der Josefstädter Bezirksvorsteher, einer der erfolgreichsten grünen Kommunalpolitiker Österreichs, wurde abmontiert – mitten im Wahlkampf für die Wien-Wahl 2010, obwohl er vor fünf Jahren einen spektakulären Coup geschafft hatte – nämlich die bürgerliche Josefstadt umzudrehen und den achten Bezirk für die Grünen zu erobern.

Warum wird ein erfolgreicher Vorzeigepolitiker der Grünen abmontiert? „Das war eine linke Geschichte – in jeder Hinsicht“, meint Rahdjian, der als Spitzenkandidat für die Josefstadt abgesetzt wurde, zur „Presse“. Eine „eingeschworene Partie“ von ehemaligen Gras- (Grün-Alternative- Studenten) und ÖH-Funktionären (die bekanntermaßen äußerst weit links stehen, Anm.) hätten über Seilschaften genügend Funktionäre in die Bezirkspartei geschleust; was zu massiven Konflikten zwischen dem Bezirkschef und seiner Stellvertreterin Doris Müller geführt hat: „Es war diese Einseitigkeit“, kommentiert der 74-jährige Rahdjian die Auseinandersetzungen mit den jüngeren, linken Grün-Funktionären: „Wir müssen diesen Hofratswitwenbezirk völlig umdrehen. Diese Aussagen fand ich beleidigend. In der Josefstadt sind nicht alle debile Menschen – auch wenn es manche so darstellen.“ Mit „diesen Berufsjugendlichen, die in einer spätpubertären Phase stecken geblieben sind“, konnte Rahdjian nicht – der Machtkampf eskalierte. Bei der entscheidenden Abstimmung hätten seine Gegner Zettel verteilt, wer zu wählen sei, so Rahdjian: „Das war generalstabsmäßig geplant. Es wurden Mitglieder angeworben, die dort das Stimmvieh abgeben mussten.“ Was sich dort abgespielt habe, kommentiert Rahdjian so: „Das war dann Kadavergehorsam – oder Dummheit.“

Die Grünen haben mit Rahdjian den Vogel abgeschossen – im wahrsten Sinn des Wortes. Denn der Bezirkschef wurde in der ÖVP sozialisiert, gehörte unter Erhard Busek zu den „bunten Vögeln“ und konnte so als Grüner in der bürgerlichen Josefstadt punkten.

Mit Rahdjian hat die weiblich dominierte Funktionärsclique der Josefstadt aber auch einen Silberrücken abgeschossen. Mit anderen Worten: Rahdjian ging es wie Peter Voggenhuber, der von Funktionärinnen uncharmant als Silberrücken (älterer männlicher Gorilla) bezeichnet und abgesetzt wurde. „Du bist ein alter Mann. Dich wählen die Frauen nicht.“ Mit diesem Argument sei ihm der Rücktritt von seiner Stellvertreterin nahegelegt worden. „Das ist Realitätsverweigerung. Wenn mich die Frauen nicht gewählt hätten, wären die Grünen nicht Erste in der Josefstadt geworden“, so Rahdjian. Der Putsch gegen Rahdjian – ein Linksruck in der ehrwürdigen bürgerlichen Josefstadt? Rahdjian: „Das wird sich nicht durchsetzen.“

Von der Landespartei erhielt der grüne Bezirkschef keinen Feuerschutz – er wurde vor seinem Sturz nicht einmal gewarnt. Parteichefin Maria Vassilakou habe gesagt, dass es ihr leidtue und von Basisdemokratie geredet, meint Rahdjian, der sich von der Landespartei im Stich gelassen fühlt.

„Das war aber keine Basisdemokratie.“ Das sei die Aktion einer Funktionärsclique gewesen. Vassilakou habe nur ihren neuen Spitzenkandidaten Alexander Spritzenhofer durchbringen wollen, der die zerstrittene Bezirksgruppe einen soll. Ihm wünscht Rahdjian aufrichtig viel Kraft: „Er wird es brauchen können.“

Auf einen Blick

Heribert Rahdjian, einer der erfolgreichsten grünen Kommunalpolitiker Österreichs, wurde mitten im Wahlkampf für die Wien-Wahl am 10.Oktober von seiner Partei abgesägt. Der Mann, der 2005 die bürgerliche Josefstadt für die Grünen erobert hat und zum Bezirksvorsteher aufgestiegen ist, spricht im „Presse“-Interview von einem Linksruck in der Josefstadt, kritisiert die Seilschaften einer reinen Funktionärsclique und den grünen Kadavergehorsam. [Harald Hofmeister]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2010)

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