Das Abgeordnetenhaus leitet noch vor Weihnachten den Amtsenthebungsprozess gegen Präsident Trump ein. Ein historischer Schritt – mit geringen Erfolgschancen.
New York. Knapp sechs Minuten dauerte die geschichtsträchtige Rede von Nancy Pelosi. „Der Präsident lässt uns keine andere Wahl“, erklärte die Chefin des Repräsentantenhauses in ihrer Ansprache, die alle großen TV-Sender live übertrugen. Donald Trump habe seine Macht missbraucht, entsprechend müssten die Gesetzgeber laut Verfassung handeln und ein Amtsenthebungsverfahren einleiten, so Pelosi. Mit der Beauftragung des Justizausschusses, eine Klagsschrift zur Amtsenthebung vorzubereiten, ist es praktisch fix: Trump wird der erst dritte Präsident der Geschichte sein, der sich einem Verfahren im Senat stellen muss. Die USA steuern auf einen monatelangen Ausnahmezustand zu. Eine tief gespaltene Nation bereitet sich auf ein parteipolitisches Spektakel vor, das die Welt in seinen Bann ziehen wird.
Die Vorwürfe
Die Liste der Anschuldigungen gegen Trump ist lang: Machtmissbrauch; Justizbehinderung; der Versuch, die anstehenden Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen. Im Zentrum der Klage steht die Tatsache, dass Trump die Ukraine dazu aufforderte, gegen seinen Widersacher Joe Biden und dessen Sohn Hunter zu ermitteln. Biden ist einer der Favoriten für die demokratische Nominierung für die Wahl im November. Trump habe Militärhilfe blockiert, um Untersuchungen zu erzwingen, so der zentrale Vorwurf.
Hintergrund: Hunter Biden saß im Aufsichtsrat des ukrainischen Energiekonzerns Burisma, während sein Vater Vizepräsident war. Die Optik ist schlecht. Frühere Untersuchungen gegen Burisma waren aber im Sand verlaufen und es gibt keine Beweise für Trumps Unterstellung, wonach Biden seinem Sohn kraft seines Amtes geholfen hätte.
Die Demokraten um Pelosi werfen Trump vor, die Ukraine zu seinem Vorteil in politische Geiselhaft genommen zu haben. Den Stein ins Rollen brachte dabei ein Telefonat im Juli, in dem Trump den ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskij, laut einer Mitschrift um „einen Gefallen“ gebeten hatte: nämlich Ermittlungen gegen Biden. Die Demokraten bezichtigen Trump auch der Justizbehinderung, weil das Weiße Haus versucht haben soll, den Inhalt des Gesprächs zu vertuschen.
Der Zeitplan
Das Repräsentantenhaus könnte schon in wenigen Tagen für die Einleitung eines Verfahrens zur Amtsenthebung Trumps stimmen. Jedenfalls soll es noch vor Weihnachten dazu kommen. Sobald das Justizgremium die Klage vorbereitet hat – als Basis dient ein bereits veröffentlichter Bericht des Geheimdienstausschusses –, ist eine Abstimmung möglich. Votiert das Abgeordnetenhaus für ein Verfahren, und davon ist auszugehen, liegt der Ball beim Senat. Dessen republikanischer Anführer, Mitch McConnell, hat bereits mit der Ausarbeitung der Details des Prozesses begonnen. Dieser wird wohl im Jänner beginnen und aller Voraussicht nach nicht allzu lang dauern. Die Gesetzgeber wollen eine Überschneidung mit der Hauptphase des Wahlkampfs vermeiden.
Die Chancen
Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten die Mehrheit. Für das Impeachment reicht eine einfache Majorität. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Demokraten die nötigen Stimmen erreichen. Bisher gab es bei beiden Parteien keine Ausreißer, alle Abgeordneten hielten sich an die Vorgaben der Führung. Der Bericht des Geheimdienstausschusses etwa wurde von dem 24-köpfigen Gremium mit den Stimmen aller 13 Demokraten abgesegnet. Für eine tatsächliche Amtsenthebung Trumps wäre jedoch nach dem Prozess im Senat eine Zweidrittelmehrheit nötig. Die Republikaner halten in der zweiten Kongresskammer 53 der 100 Sitze. Bisher stehen alle konservativen Senatoren hinter Trump. Sofern im Zuge des Prozesses keine neuen Erkenntnisse ans Tageslicht kommen, wird sich daran nichts ändern. Trump bezeichnet das Impeachment als Hexenjagd, er ist sich keiner Schuld bewusst. Auch seine Fans halten ihm die Treue. Nach derzeitigem Stand wird Trump Präsident bleiben und als republikanischer Kandidat in die Wahl am 3. November 2020 gehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2019)