Epidemie

Coronavirus: Die Angst vor dem Kontrollverlust

Chinas Premierminister Li Keqiang (Mitte) spricht in einem Krankenhaus in Wuhan zu Personal und Sicherheitskräften.
Chinas Premierminister Li Keqiang (Mitte) spricht in einem Krankenhaus in Wuhan zu Personal und Sicherheitskräften.(c) REUTERS (STRINGER)
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Nach bisher mindestens 106 Todesopfern in China könnte auch das politische System Schaden nehmen. Russland sperrt derweil Grenzübergänge zu China.

Peking/Moskau. Mindestens 106 Todesopfer hat der Ausbruch des neu mutierten Coronavirus in China bis Dienstag bereits gefordert, mehr als 4600 Menschen wurden dort infiziert, dazu etwa 80 in anderen Staaten. Die Gegenmaßnahmen vor allem in China werden immer drastischer: Am Dienstag fordert Peking jeden Neuankömmling in der Stadt dazu auf, sich 14 Tage lang unter Quarantäne in den eigenen vier Wänden aufzuhalten.

Für die Bevölkerung ist das eine Lage, die im Vergleich zur Sars-Epidemie 2002/2003 noch radikaler ist. Zur Sorge vor den Viren kommt auch Frust – wegen ausbleibender Kunden in Geschäften, Bewegungseinschränkungen und fehlender Informationen seitens der Behörden. Es ist auch Frust, der sich gegen die politische Führung richten könnte.

Niemand ist sich der Gefahr bewusster als Präsident Xi Jinping. Er steht vor der größten Herausforderung seiner bisherigen Amtszeit. Im Gegensatz zur Rebellion in Hongkong oder dem Sieg der Peking-kritischen Präsidentin Tsai Ing-wen in Taiwan kann Xi jetzt nicht „ausländische Kräfte“ für die Krise verantwortlich machen.

Zudem droht sie direkter auf „Onkel Xi“ zurückzufallen als auf das abstrakte Bild des Staatsapparats. Denn der 66-Jährige hat wie kein zweiter Herrscher seit Mao den Führerkult ausgebaut, die Macht in der Partei zementiert und Hunderte teils alteingesessene Parteikader während seiner Anti-Korruptions-Kampagne entlassen. Erfolge und Niederlagen in so einem hierarchischem System werden auf die Leitfigur zurückgeführt.

 

Spott über Propaganda

Chinas Millennials, die sich in sozialen Netzwerken Informationen besorgen, wissen oft gut über das teils inkompetente Krisenmanagement der Lokalregierung Bescheid. Zuletzt spotteten sie über ein Video, das Premier Li Kquiang in Spitälern in Wuhan, dem Urherd des Virenausbruchs, zeigt. Es war als patriotische Durchhaltebotschaft intendiert; Internetnutzer kritisierten vor allem die offensichtlich inszenierte Propagandabotschaft.

Russland verstärkte derweil die Sicherheitsmaßnahmen: Im Fernen Osten wurden Grenzübergänge zu China bis 7. Februar geschlossen. Russland und China verbindet eine knapp 4300 Kilometer lange Grenze. In Russland wurde bisher kein Verdachtsfall registriert. Moskaus Bürgermeister, Sergej Sobjanin, gab am Dienstag die Einrichtung eines Einsatzstabes bekannt, Tests und medizinische Ausrüstung seien zur Genüge vorhanden. Zugleich werden Kontrollen in Hotels und anderen touristischen Orten verstärkt. „Gibt es Alarmzeichen, werden Notfallteams für eine genaue Untersuchung geschickt“, so Sobjanin.

Russische Reiseveranstalter stoppten am Montag den Verkauf von Pauschalreisen nach China und fliegen Touristen zurück. Es zeichnet sich auch ein Ende der chinesischen Urlauberschwärme in Russland ab, weil auch Russland-Reisen für Chinesen vorerst sistiert sind. „Gäste aus China, die in Russland sind, reisen aber planmäßig ab, eine frühzeitige Abreise wird es nicht geben“, sagt der Tourismusexperte Alexander Agamow.

Am Abend gab indes die EU-Kommission bekannt, dass im Rahmen des EU-Zivilschutz-Mechanismus EU-Bürger aus der Region Wuhan nach Europa zurückgeholt werden sollen. Ein erstes Flugzeug soll bereits Mittwochfrüh in Frankreich starten und etwa 250 Franzosen nach Hause fliegen. Ein zweites soll im Lauf der Woche folgen und mehr als 100 Europäer aus anderen EU-Ländern heimbringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2020)

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