Konjunktur

Coronavirus laut OECD "größtes Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise"

REUTERS
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Die Coronavirus-Epidemie kann nach Einschätzung der Industriestaaten-Organisation OECD die Weltwirtschaft aus der Spur bringen.

Industriekrise in China, Flaute in der Weltwirtschaft, Sorge um die deutsche Konjunktur: Das neuartige Coronavirus ist nach Einschätzung der OECD das "größte Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise". Im schlimmsten Fall könnte sich das weltweite Wachstum sogar nahezu halbieren, warnte die OECD. Dann drohe ein "Dominoeffekt".

"Das Virus droht der Weltwirtschaft, die bereits durch Handelsstreitigkeiten und politische Spannungen geschwächt ist, einen zusätzlichen Schlag zu versetzen", warnte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone am Montag. Um die Folgen abzufedern, signalisieren viele Regierungen ihre Bereitschaft zu Konjunkturprogrammen, während Zentralbanken mehr billiges Geld bereitstellen könnten.

Besonders deutlich werden die Folgen des Ausbruchs an ihrem Ursprungsort China: Produktion, Aufträge und Beschäftigtenzahl fielen im Februar so stark wie noch nie seit Beginn der monatlichen Umfrage vor rund 16 Jahren, wie die Mediengruppe Caixin und das Institut IHS Markit zu ihrer monatlichen Unternehmensumfrage mitteilten. Der Einkaufsmanagerindex brach dadurch um 10,8 auf 40,3 Punkte ein. Erst ab 50 signalisiert das Barometer ein Wachstum. "Der starke Rückgang ist auf die stagnierende Wirtschaftstätigkeit im ganzen Land zurückzuführen, die durch die Coronavirus-Epidemie verursacht wurde", sagte Chefökonom Zhengsheng Zhong von Caixin.

OECD empfiehlt höhere staatliche Ausgaben

Die Krise beim Exportweltmeister droht die gesamte Weltwirtschaft aus der Spur zu bringen - zumal sich das Virus auch auf andere Industriestaaten wie Japan, Südkorea und Italien stark ausbreitet. Sollte sich die Lage nicht bessern und immer weitere Länder betroffen sein, könnte das weltweite Wachstum dieses Jahr auf etwa 1,5 Prozent halbiert werden, erklärte die OECD. "Es ist wichtig, dass die Regierungen jetzt unverzüglich handeln, um die Epidemie einzuschränken, die Gesundheitssysteme zu stützen, Bürgerinnen und Bürger zu schützen, die Nachfrage zu stärken und das finanzielle Überleben der am stärksten betroffenen Unternehmen und Haushalte zu garantieren", forderte Chefvolkswirtin Boone.

In China haben sich bisher mehr als 80.000 Menschen mit dem Virus infiziert, die meisten in der Provinz Hubei. Knapp 3.000 Personen sind daran gestorben. Das Wirtschaftswachstum in China dürfte sich laut OECD wegen des Virus deutlich verlangsamen. Die Ökonomen rechnen hier 2020 nur noch mit 4,9 Prozent, nachdem es 2019 noch 6,1 Prozent waren. "Für China ist das wirklich ein extrem niedriges Wachstum", sagte OECD-Ökonomin Isabell Koske am Montag im Ö1-Mittagsjournal des ORF. Die OECD-Pressekonferenz wurde wegen der Sorgen um das Virus über das Internet abgehalten, hieß es in dem Bericht weiter.

In Europa treffe es vor allem Italien, so Koske weiter. Das Land sei besonders exponiert gewesen. Da Italien eng mit anderen Staaten der Eurozone verflochten ist, müsse man im gesamten Währungsraum mit Auswirkungen rechnen, sagte die Ökonomin zu Ö1. Nach dem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent im Jahr 2019 werde die Wirtschaft in Italien laut OECD 2020 wohl stagnieren.

Die Industriestaaten-Gruppe empfiehlt höhere staatliche Ausgaben, um dem Konjunkturrückgang entgegenzuwirken. Sie stößt damit auf offene Ohren. Die Finanzminister der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) wollen in dieser Woche über die Folgen des Coronavirus-Ausbruchs für das Wirtschaftswachstum sprechen. "Es wird eine konzertierte Aktion geben", kündigte der französische Finanzminister Bruno Le Maire an. Er habe bereits am Sonntag mit US-Finanzminister Steven Mnuchin gesprochen, der den G7-Vorsitz innehat. Es werde eine Telefonkonferenz geben, "um unsere Reaktionen zu koordinieren", sagte Le Maire dem Fernsehsender France 2. Auch die Finanzminister der Eurozone stehen seinen Worten zufolge in Kontakt. Er wolle auch mit der Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, reden. "Wir müssen so handeln, dass diese Auswirkungen, von denen wir wissen, dass sie wichtig für das Wachstum sind, so gering wie möglich sind", betonte Le Maire, der am Montag in Berlin mit dem deutschen Finanzminister Olaf Scholz zusammenkam.

Notenbanken sind „wachsam"

Die Europäische Union wird laut Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni alle ihre politischen Möglichkeiten nutzen, um das Wachstum gegen Risiken durch das neue Coronavirus abzusichern. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier deutete an, dass Berlin nicht untätig bleiben will. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Corona unseren Wirtschaftsaufschwung kaputt macht", sagte der CDU-Politiker in der ARD. Die OECD halbierte ihre Prognose für das deutsche Wachstum 2020 auf 0,3 Prozent. Auch unter Beibehaltung der Schuldenbremse sieht das Finanzministerium genügend Spielraum, um im Falle einer schweren wirtschaftlichen Krise finanziell gegenzusteuern.

Die internationalen Zentralbanken signalisierten ebenfalls ihre Bereitschaft, aktiv zu werden und versuchen damit, der nervösen Stimmung an den internationalen Finanzmärkten etwas entgegenzusetzen. Die internationalen Partner würden zusammenarbeiten, sagte etwa ein Sprecher der Bank of England in London. Dadurch solle sichergestellt werden, "dass alle notwendigen Schritte zum Schutz der Finanz- und Währungsstabilität unternommen werden". Ähnlich hatte sich zuvor die japanische Zentralbank geäußert. Die Europäische Zentralbank (EZB) gab sich zurückhaltender: Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau sagte, man sei wachsam und vorbereitet, dürfte aber nicht die Ruhe verlieren.

Investoren am europäischen Geldmarkt rechnen wegen des sich ausbreitenden Coronavirus inzwischen fest mit einer Zinssenkung der EZB im April. Die EZB will mit negativen Sätzen erreichen, dass Banken die Gelder nicht bei ihr parken, sondern in Form von Krediten an die Wirtschaft weiterreichen und so die Konjunktur ankurbeln.

Ob und wie die Notenbanken tatsächlich reagieren werden, ist offen. An den Finanzmärkten wird die deutlichste Reaktion noch der US-Notenbank Fed zugetraut. Denn sie verfügt unter den großen Notenbanken noch über den größten Zinssenkungsspielraum. In der Eurozone und Japan, aber auch in Großbritannien liegen die Leitzinsen wesentlich tiefer, teils sogar unter der Nulllinie.

Ungeachtet dessen gilt es als fraglich, wie weit geldpolitische Unterstützung in der Corona-Krise überhaupt helfen kann. Denn das Hauptproblem liegt nicht im Finanzsystem, sondern in der Realwirtschaft: Weil in China große Teile der Wirtschaft stillstehen und sich das Virus auf weitere Länder ausbreitet, sind die internationalen Produktions- und Lieferketten gestört.

(APA/Reuters/dpa)

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