Corona Briefing Tag 24

Was deutsche Medien über Kurz schreiben, was Guttenberg und Gusenbauer sagen und wer mir was so mailt

(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Über den Applaus, den es gibt, solange die Zahlen stimmen und das Debattieren mit zwei Ex-Politikern, die nach ihrer aktiven Zeit freier, differenzierter und fundierter reden als so manche Aktive.

Guten Morgen. 2020 erleben wir ein Osterfest, das für mehrere Generationen im Gedächtnis bleiben wird. Im Idealfall feiern wir es nicht generationenübergreifend. Aber Sie alle kennen die offiziellen Aufforderungen und wir Journalisten sind schlechte Mittler von guten Empfehlungen oder Geboten. Pädagogischer Journalismus ist ein Widerspruch in sich. Mit Ankündigung von ersten Lockerungsmaßnahmen steht Österreich plötzlich im medialen Rampenlicht, deutsche Medien interviewen wieder ihre österreichischen Kollegen wie mich und fragen, ob das funktionieren wird. In Singapur, Musterland im Umgang mit dem Virus, beginnt man wieder mit härteren Maßnahmen, weil man eine zweite Welle befürchtet, ähnlich die Lage in Japan, wo gestern ähnliche Warnungen laut wurde. Auch in österreichischen Medien wird dieses Thema aufgeworfen, der Bundeskanzler hat es formuliert. Sebastian Kurz wird in Tageszeitungen wie der „Welt“ gefeiert und Österreich als Vorbild für die Bekämpfung des Virus beschrieben – Kurz habe „exzellente Berater“. Die „Süddeutsche“ kommentiert Österreichs Vorgehen ebenfalls positiv, kritisiert aber Kurz für dessen Eitelkeit und überbordende Eigen-PR in der Rolle als Krisenfeuerwehrhauptmann. Letzteres versöhnt die Kurz-Gegner unter den heimischen Publizisten, die sich schon ein bisschen überfahren fühlen. Aber wie Kurz selbst ahnt: Applaus gibt es so lange die Zahlen stimmen. Die der Covid-Fälle zählen heute, morgen und übermorgen werden die der Arbeitslosen wieder mehr zählen. Dies wird auch künftige Wahlen mitentscheiden. (Dazu in den nächsten Tagen mehr.)

Ich bin Ihnen noch einen kurzen Bericht meiner abendlichen Pro-Bono-Tätigkeit als Video-Moderator schuldig. Auf Einladung von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und Atos-Manager Gerald Gerstbauer fanden sich drei Dutzend Vorstände österreichischer Spitzenunternehmen in einer Videokonferenz ein, um die Zukunft nach der Krise oder besser mit der Krise zu debattieren und vor allem zwei Ex-Politikern zu lauschen, die nach ihrer aktiven Zeit freier, differenzierter und fundierter reden als so manche Aktive: Theodor zu Guttenberg und Alfred Gusenbauer. Einig waren sich beide in ihrer geopolitischen und pessimistischen Einschätzung der Folgen dieser Krise auf die Welt. Guttenberg sieht drei unterschiedliche Gleise; jenes, auf dem sich China und damit Asien bewegt. Mit der Möglichkeit, etwaige weitere Virusherde nicht zu kommunizieren, werde dank schneller Wiederaufnahme der Industrieproduktion ein V-Entwicklung bei der Wirtschaft erzielt werden, es ging rasant bergab, dann aber möglicherweise wieder steil bergauf. Am zweiten Gleis ist noch nicht klar, ob sich die USA oder Europa schneller erholen könnten. Dass die Arbeitslosigkeit in den USA vergleichsweise explosionsartig zugenommen hatte und Donald Trump erratisch agiere, würde zwar für Europa sprechen. Aber – und bei diesem „Aber“ nickte Gusenbauer zustimmend: Wer die Entwicklung nach und in der Finanzkrise erlebt habe, habe feststellen müssen: Obwohl die Krise in den USA ihren Ausgang genommen hatte, waren es die europäischen Banken, die von der Bildfläche verschwanden oder stark an Bedeutung verloren. Warum: Die USA hätten Geldinstitute einfach auch (teil)verstaatlicht und am Markt geschützt. Europa hatte die eigenen zwar finanziell unterstützt, aber dann streng reguliert dem Kampf gegen asiatische und amerikanische Banken überlassen. Am dritten Gleis fährt der Pessimismus, die Entwicklungsländer werden von der Krise noch hart getroffen werden, trotz junger Bevölkerungen wegen schlechter Gesundheitssysteme. Vor allem aber wird sie der Backlash der Weltwirtschaft unvorbereitet und ohne Reserven zurückwerfen, fürchtet Guttenberg. Gusenbauer verlas zu Beginn seiner Keynote einen Kommentar, den zumindest Guttenberg schon gelesen hatte: einen flammenden Appell für den starken Staat, der eingreifen, der sich auch an Unternehmen beteiligen und ein starkes Gesundheits- und Sozialsystem stützen müsse. Genüsslich fragte Gusenbauer, ob dieser Text von einer linken Partei oder Publikation stamme. Nein, es war ein Leitartikel der Financial Times.

Gusenbauer formulierte zudem seine Thesen über das endgültige Ende der Hegemoniemacht USA, da das Virus wie ein Brandbeschleuniger bei dessen Verlust an politischer, militärischer und wirtschaftliche Relevanz außerhalb der eigenen Grenzen wirke. China sei nun endgültig auf Augenhöhe. Pessimistisch war sein Ausblick auf die gleiche Runde, die sich 2021 in Kärnten dann auch physisch treffen will: Wir werden dann noch immer an Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise leiden und ganze Branchen verloren haben. Und selten aber doch, hätte Gusenbauer kein Problem damit sich zu irren.  

Meine ironischen Bemerkungen über Mail- und Nachtstudien-Schreiber im allerbesten Mannesalter haben mir ein Dutzend weitere längere Zuschriften beschert, für dich mich ganz ernsthaft bedanke. Da ich neben dem Verfassen dieser Texte meinen Kollegen auch noch die ein oder andere helfende Hand bei der Produktion der „Presse“ reichen darf, kann ich leider nicht auf jede Zahl und jedes Argument eingehen: Dass es gut ist, wenn es Widerspruch zur Politik und vor allem zur Regierung gibt, die mit ihren Maßnahmen die Wirtschaft von heute auf morgen abwürgen musste, sehe ich auch so. Eine Alternative liegt allerdings noch immer nicht vor, was natürlich nicht dazu führen darf, dass man mit dem Totschlagargument der Alternativlosigkeit jede Kritik oder jeden Kritiker niederknüppeln darf. Und wer hätte nicht gehofft, dass der schwedische Weg erfolgreich ist und dort weniger Menschen sterben.

Morgen schreibe ich über weitere „Lehren aus der Krise“ und den Unsinn, der unter diesem Titel verbreitet wird. Damit ich wieder ein bisschen Post bekomme. Ganz ernst: Bitte schreiben Sie mir weiter, Sie dürfen mich auch gerne kritisieren und beleidigen. Ich halte das gut aus, ich werde dafür erstens bezahlt und kann vor allem selber ziemlich gut austeilen. Bis morgen.

PS: Danke, dass Sie mir immer wieder Gabor Steingarts Morgenbriefing schicken, ich habe den coolen fast alten Mann schon seit einiger Zeit abonniert.

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