Leitartikel

Den Rechtsstaat kann man nicht herunterfahren

Austrian Chancellor Kurz attends a news conference in Vienna
Austrian Chancellor Kurz attends a news conference in ViennaREUTERS
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Die Coronakrise legt Defizite beim Verständnis der Gewaltenteilung offen. Nicht nur bei der Bevölkerung, sondern vor allem bei der Regierung.

Zu den Seltsamkeiten der momentanen Situation, an die man sich nach sechs Wochen immer weniger gewöhnen will, gehört das Regiertwerden via Livestream. In der ersten Phase der Coronakrise konnte das noch als „keep you posted“ des Souveräns auf ansteckungsfreiem Weg verstanden werden (also Maßnahme beschlossen, sofort Bevölkerung über Gründe und Inhalt informiert), hat sich aber mittlerweile zu einer gefühlten Streaming-Monarchie entwickelt. Die Untertanen wissen nicht, wann sie wieder arbeiten gehen können, ob ihre Kinder wieder in die Schule gehen werden, aus welchem Grund sie vom Land ob der Enns ins Land unter der Enns reisen dürfen. Schon in der nächsten Pressekonferenz in ein paar Tagen wird man's ihnen sagen. Oder eben nicht. Der Mindestabstand zu Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechten beträgt in der neuen Normalität offenbar deutlich mehr als einen Meter.

Doch dazu gehören wie beim Streiten natürlich zwei: Da Regierende, die in ihrem Ge- (und Über-)fordertsein, dem Wunsch, nur ja nicht zögerlich zu agieren, und mit einer von zu vielem Lob geschwellten Brust viele lästige Details lieber lästige Details sein lassen. Und sich beim Reden über großteils notwendige Einschränkungen einen komischen Tonfall angewöhnt haben. Der schon wiederholte Hinweis von Sebastian Kurz, es sei „keine Schande“, seine Kinder in Schulen und Kindergärten in Betreuung zu geben, ist so ein Beispiel. Der Bundeskanzler hat Auskunft zu geben, welche Regeln für die Kinderbetreuung in Coronazeiten gelten, nicht die danach getroffenen Entscheidungen zu loben oder zu tadeln.

Auf der anderen Seite steht eine Gesellschaft, die nach dem ersten Schreck dieser Ausnahmesituation zu lang brav war, statt beharrlich nachzufragen und auf ihre Rechte zu pochen, wenn diese ohne gesicherte gesetzliche Grundlage beschnitten wurden. Um im Streit-Bild zu bleiben: Angefangen damit hat eindeutig die Regierung, denn sie hat für die Einhaltung der demokratischen Spielregeln zu sorgen, gerade in Ausnahmesituationen. Im ruhigen Fahrwasser eines westlichen Wohlstandsstaates ist das ja ohnehin nicht allzu schwierig. Was den Rechtsstaat angeht, werden wir sicher nicht zwischen Pest und Corona wählen.

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