Der ökonomische Blick

Der Wiederaufbau-Fonds: Symbol des Streits um eine EU-Fiskalpolitik

The spread of the coronavirus disease (COVID-19) in Florence
The spread of the coronavirus disease (COVID-19) in FlorenceREUTERS
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Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Jörn Kleinert über die EU in der Coronakrise.

Die Staats- und Regierungschefs haben am 23.4. neben den 540 Mrd. Euro Soforthilfe, die über den ESM, die Europäische Investitionsbank EIB und das EU-weite Kurzarbeitsprogramm SURE fließen, auch Wiederaufbauhilfen beschlossen, die über einen Recovery-Fund abrufbar sein werden. Sie haben die EU-Kommission beauftragt, einen Vorschlag zur Gestaltung dieses Fonds vorzulegen. Vielfach ist das als Verschieben in die Zukunft, Arbeitsverweigerung oder Gipfelenttäuschung kommentiert worden. Das Nachdenken über die Ausgestaltung institutioneller Elemente dieser Größenordnung ist aber richtig. Das Austauschen von Argumenten - nicht von Emotionen und Standpunkten - ist wichtig. Die Einbeziehung der EU-Kommission mit all ihren Regeln und Verfahren ist notwendig, erst recht da es sich nicht um Sofortmaßnahmen handelt. Die Krisen-ad-hoc-Entscheidungen gehörten in die akute Krisenzeit.

Die von Italien als benötigte Summe ins Spiel gebrachten 1,5 Billionen Euro (etwa 75 Prozent des italienischen BIPs) entsprechen der Wirtschaftsleistung von Österreich in vier Jahren. Auf die EU bezogen, sprechen wir von mehr als einem Zehntel der Wirtschaftsleistung 2019 und knapp dem Zehnfachen des EU Haushalts. Da darf es länger dauern als drei Stunden darüber zu entscheiden, wie die Institution ausgestaltet sein soll, die diese Mittel aufnimmt, verwaltet und verteilt.

Die Verwendung der Mittel

Wenn von EU-Seite sogar schon aufgeführt werden kann, wofür die Ressourcen verwendet werden sollen, sind wir auf einem viel besseren Weg als vor diesem Gipfel erwartet werden durfte: Kohäsion und Investitionen, der Green Deal, Krisenfestigkeit und strategische Autonomie der EU und die Unterstützung der Nachbarschaft der EU liefern ein gutes Gerüst für die Strukturierung der anstehenden Aufgaben. Die (zeitweise) Anhebung der Mittel des EU-Haushalts auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der EU ist der richtige Weg. Auf dieser Grundlage kann die EU-Kommission Kredite aufnehmen und an die Länder, Regionen oder Kommunen weitergeben oder Projekte selber finanzieren, ohne dass es die Haushalte der Mitgliedsländer belastet. Damit kann eine sehr große Umverteilung verbunden sein. Wie groß die sein wird, wird klar werden, wenn die zu bewältigenden Aufgaben spezifiziert sind und der Finanzierungsbedarf dafür bekannt ist. Die EU-Kommission hat den Auftrag das auszuarbeiten.

Aus dem österreichischen Home-Office ist es schwer sich ein Bild zu machen von den Verwüstungen und dem Ausmaß an Zerstörung, das das Virus hinterlassen hat. Die Kriegsrhetorik hilft nicht, rational zu entscheiden, was jetzt nötig ist. Sie ist auch eher schädlich beim Einfordern von Solidarität, die bei solchen Begleitklängen schnell als Erpressung verstanden wird. Auch dieses ständige Beharren darauf, unverschuldet in diese Situation gekommen zu sein, ist nicht hilfreich. Schuld ist etwas für Gerichte aber nicht für Stabilisierungspolitik. Wenn wir in der EWU der Auffassung sind, wir brauchen Instrumente der Stabilisierungspolitik verstärkt auf europäischer Ebene, dann ist Schuld kein Kriterium. An der griechischen Tragödie waren wenige Griechen schuld. Die Konsequenzen fehlender Stabilisierungspolitik haben sie aber sehr wohl tragen müssen.

Es geht um mehr gemeinsame Fiskalpolitik

Eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik ist der eigentliche Kern des Problems, das weit über die derzeitige Krise hinausgeht. Die gemeinsame Geldpolitik und die Abschaffung des Instruments der Abwertung durch die Einführung der gemeinsamen Währung ließen nur ein Instrument der Stabilisierung übrig: die Fiskalpolitik. Die ist aber nur stark beschränkt einsetzbar: regulatorisch wegen der Fiskalpakt-Regeln in der EWU und faktisch wegen der (erwarteten) Finanzmarktreaktionen auf eine Erhöhung der in einigen Staaten schon recht hohen Staatsverschuldung. Das Fehlen jeglicher Stabilisierungspolitik ist aber auf Dauer unhaltbar. Darauf zu verweisen, dass es besser gewesen wäre, „die Schuldnerländer“ hätten sich vor 40 Jahren anders entschieden, hilft nicht weiter.

Das ist unabhängig vom Moral Hazard Argument, weil es sich um „Altlasten“ vom vor-EWU-Beitritt handelt und nicht um „Fehlverhalten“ nach dem Beitritt. Bei einer gemeinsamen Verschuldung werden sich die Länder Regeln geben müssen, um die intendierte Versicherung durch die gemeinsame Verschuldung nicht in einen nicht abgesprochenen Transfer übergehen zu sehen. Natürlich kann auch dieses Instrument Umverteilungsaspekte beinhalten, nur vereinbart müssen diese werden. Milderungen des Moral Hazard Problems bestehen in erster Linie in detailliert ausformulierten Verträgen, wobei man natürlich darauf verweisen muss, dass Verträge immer unvollkommen sind. Wie auch immer ausgestaltet, der Spielraum für Stabilisierungspolitik in der EWU muss größer werden.

Findet die EWU für dieses Problem keine Lösung, wird sie nicht von Bestand sein. Sie muss aber diese Lösung auch nicht morgen vorweisen. Nur müsste sie sich glaubhaft daransetzen, eine Lösung zu erarbeiten. Diese wird eine größere gemeinschaftliche Komponente in der Fiskalpolitik beinhalten. Es gibt einige Vorschläge, die zu diskutieren lohnten: nur den Müller und Richter Vorschlag aus dem Jahr 2017 möchte ich erwähnen. In Deutschland ist man in den letzten Jahren mit der Entschuldung der Kommunen deutlich weitergekommen. Natürlich ist das in einer Zeit von Haushaltsüberschüssen auf Bundes- und Länderebene einfacher. Es lassen sich aber daraus bestimmt auch Lehren für die Schuldenproblematik in der EWU ziehen.

Ob es sich bei der Finanzierung durch den Recovery-Fund um Transfers oder Kredite handeln soll, war entlang der üblichen Nord-Südteilung stark umstritten. Dabei ist viel wichtiger, wie man die Zahlungen ausgestaltet, um die Ungleichgewichte im Binnenmarkt nicht zu groß werden zu lassen. Transferzahlungen sind mit Leistungsbilanzüberschüssen der den Transfer leistenden Länder verbunden. Die Leistungsbilanzüberschüsse der „Nordländer“ sind aber ohnehin schon problematisch hoch. Wir brauchen in einer funktionierenden EWU eine Konvergenz der Chancen und nicht der kurzfristigen Konsummöglichkeiten. Süditalien und Ostdeutschland sind Regionen, in denen man sich die Wirkung großer Transfers über längere Zeiträume anschauen kann mit all dem Erreichten und allen Problemen. Auch daraus ließe sich lernen und das kostet vor allem Zeit und den Willen, das zu tun.

Jörn Kleinert
Jörn Kleinert

Der Autor

Jörn Kleinert (* 1970 in Berlin) ist Professor für Internationale Ökonomik an der Universität Graz. Er ist Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz und amtiert derzeit als Generalsekretär der Nationalökonomischen Gesellschaft (NOeG).

Links:

Cunat, Alejandro und Harald Fadinger „Corona-Anleihen-warum wir sie jetzt brauchen“ https://www.diepresse.com/5795196/corona-anleihen-warum-wir-sie-jetzt-brauchen

Kleinert, Jörn „EU-Budget: Wenn man nicht weiß wofür“ https://www.diepresse.com/5777793/eu-budget-wenn-man-nicht-weiss-wofur

Kleinert, Jörn „Verwirrung um Corona-Bonds“ https://www.derstandard.at/story/2000116976774/verwirrung-um-corona-bonds

Müller, Hendrik und Wolfgang Richter: Europa am Scheideweg – ein Vorschlag zur politischen Weiterentwicklung - Wirtschaftsdienst 2017 (7): 484–489. https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2017/heft/7/beitrag/europa-am-scheideweg-ein-vorschlag-zur-politischen-weiterentwicklung.html

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