Corona-Cluster

Hagenbrunn als Auslöser für Coronavirus-Infektionen? "Sachlich nicht nachvollziehbar"

Das Postverteilerzentrum Hagenbrunn in Niederösterreich.
Das Postverteilerzentrum Hagenbrunn in Niederösterreich.(c) APA (Robert Jäger)
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Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner widerspricht dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Patient Null sei von Wien nach Hagenbrunn gependelt.

Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner hat am Montag Aussagen des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ) heftig widersprochen, wonach Hagenbrunn wohl Auslöser für einen aktuellen Cluster an Coronavirus-Infektionen gewesen sei. Das sei auf Grundlage aller bekannter Fakten "sachlich nicht nachvollziehbar", sagte sie auf APA-Anfrage.

Die Situation sei "von uns akribisch aufgearbeitet worden", betonte Lechner. "Es gab im Postverteilerzentrum Hagenbrunn im Vorfeld keinen einzigen positiv getesteten Corona-Fall. Der Patient Null dieses Clusters war ein Mann, der von seinem Wohnsitz in Wien nach Hagenbrunn pendelte. Die nächsten drei Fälle waren ebenso Personen, die aus Wien ins Postverteilerzentrum Hagenbrunn pendelten - und zwar im gleichen Bus wie der Patient Null", erläuterte die Landessanitätsdirektorin.

"Es wäre daher - vorsichtig formuliert - mindestens ebenso schlüssig davon auszugehen, dass das Virus von diesen Personen aus Wien ins Postverteilerzentrum Hagenbrunn getragen wurde", sagte Lechner zur APA. Generell halte sie jedoch nichts davon, "wenn bei der Eindämmung des Virus mit dem Finger aufeinander gezeigt wird". Für die erfolgreiche Bekämpfung des Virus sei es "wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten".

Soldaten in Hagenbrunn

Wegen der Häufung von Coronavirus-Infektionen bei Mitarbeitern in dem Logistikzentrum ist nunmehr das Bundesheer im Einsatz. 397 Bedienstete seien im Schichtbetrieb tätig, betonte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) am Montag bei einem Besuch der Einrichtung. In dieser Zahl seien auch Spezialisten des ABC-Abwehrzentrums Korneuburg enthalten.

Am Wochenende war das Areal desinfiziert worden. Noch in der Nacht auf Sonntag begannen Soldaten und Zivilbedienstete vom Kommando Streitkräftebasis aus Salzburg, der Steiermark, aus Niederösterreich, Oberösterreich und Wien mit der Arbeit. Sie ersetzen die komplette Mannschaft der Post in der Logistikhalle. Die Dauer des Einsatzes ist laut Verteidigungsministerium vorerst mit zwei Wochen festgelegt.

Post AG: Nicht „sorglos“ gehandelt

Die Unterstützungsleistung sei "zu bezahlen", sagte Tanner. Wie hoch die Kosten sein werden, konnte Georg Pölzl, Generaldirektor der Österreichischen Post AG, nicht sagen. Dass seitens der Post AG im Zusammenhang mit den Coronavirus-Infektionen sorglos gehandelt worden sein könnte, "sehe ich gar nicht so", betonte Pölzl. An dem niederösterreichischen Standort und in Wien-Inzersdorf habe es eine Häufung der Fälle gegeben. Das habe sich "explosionsartig entwickelt".

Tests hätten alles zutage gebracht, erklärte Pölzl. Die Mitarbeiter hätten keine Symptome gehabt. Nur eine Person sei im Krankenhaus. Pölzl verwies auch darauf, dass 12.000 bis 13.000 der 20.000 Post-Mitarbeiter täglich Kundenkontakt hätten. Dennoch habe es vor der nunmehrigen Häufung in Hagenbrunn und Wien-Inzersdorf nur Einzelfälle von Infektionen gegeben, "keine 100" österreichweit, auch in Logistikzentren.

Pölzl stellte zudem klar, dass Leiharbeiter teurer als eigenes Personal seien. Der Einsatz sei demnach kein Kostengrund, sondern entspreche den "Realitäten unserer Arbeitswelt". Er stehe auch dazu, Asylberechtigte zu beschäftigen, so der Postchef. Hagenbrunn sei vor einem halben Jahr geöffnet worden und habe demnach einen hohen Anteil an Leiharbeitern von "50 Prozent und darüber". Stammpersonal entwickle sich erst. "Leider", sagte Pölzl dazu, dass es Verzögerungen bei Lieferungen gebe.

400 Personen in Quarantäne

Rund um den großen Wiener Coronavirus-Cluster befanden sich bis Montag mehrere hundert Personen in Quarantäne. Bisher wurden "mehr als 400 Absonderungsbescheide" ausgestellt, sagte Andreas Huber, Sprecher des medizinischen Krisenstabs der Stadt. Die Containment-Maßnahmen waren jedoch noch nicht abgeschlossen. Im Postzentrum in Wien-Inzersdorf gab es bisher 500 Tests, 70 Mitarbeiter waren positiv.

Im niederösterreichischen Post-Verteilungszentren Hagenbrunn wurden 63 Mitarbeiter positiv getestet, die in Wien wohnen, erläuterte Huber. Bestätigt wurde zudem, dass in der Logistikzentrale eines großen Möbelhauses in Wien-Floridsdorf ebenfalls sechs Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt sind. Diese Fälle dürften ebenfalls auf Leiharbeiter zurückzuführen sein.

In einem vorübergehend geschlossenen Kindergarten in Wien-Liesing, wo eine mit einem Leiharbeiter zusammenlebende Mitarbeiterin und ein Kind infiziert sind, wurden inzwischen alle Kinder und Betreuer untersucht. Es gab keine weiteren Erkrankten.

90 Prozent symptomlos

In Kindergärten wird in Wien weiterhin bei Verdachtsfällen getestet. Im Bereich von Pflege-, Obdachlosen- und Flüchtlingseinrichtungen kündigte die Stadt dagegen weitere großflächige Tests an. Diese Strategie ist "aus unserer Sicht erfolgreich, dass wir genau hinschauen und in die Tiefe schauen", hieß es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Bei dem Cluster hätten rund 90 Prozent symptomlos Erkrankte identifiziert werden können. "Die haben wir auf diesem Weg ausfindig gemacht", sagte der Sprecher.

Knapp über 1.000 Testungen seien bisher im Flüchtlingsbereich durchgeführt worden. Rund 40 Infizierte sind laut Stadt Wien ebenfalls auf diesen Cluster in Verbindung mit Leiharbeiten zurückzuführen. Allein in einer Unterkunft in Erdberg waren 24 Bewohner infiziert. Ebenfalls knapp 1000 Testungen gab es in Betreuungseinrichtungen für Obdachlose, dabei wurde ein Infizierter ausfindig gemacht. Eine Unterkunft in Hietzing wurde unter Quarantäne gestellt und die Bewohner teilweise in anderen Einrichtungen untergebracht.

(APA)

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