Dutzende Anzeigen, verletzte Polizisten und gewaltbereite Jugendliche: Der türkische Botschafter wurde nach den Ereignissen in Favoriten ins Außenministerium zitiert. Der Verfassungsschutz ermittelt bereits.
Elf Festnahmen, 57 Anzeigen, 220 Identitätsfeststellungen, sieben verletzte Polizisten und ein verletzter Diensthund - das ist die polizeiliche Bilanz der Ausschreitungen der vergangenen Tage in Wien-Favoriten. Sie zeigt die Eskalation von Gewalt, die Innenminister Karl Nehammer „in Zukunft so nicht stehen lassen“ werde, sagte er bei einer Pressekonferenz am Montag zusammen mit Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP).
Die Unruhen in Wien-Favoriten, bei der kurdische und linke Demonstranten von ultranationalen türkeistämmigen jungen Menschen wiederholt angegriffen und provoziert worden waren, wird nun zur Staatsräson. Wie schon am Wochenende berichtet wurde am heutigen Montag der türkische Botschafter Ozan Zeyhun zu Außenminister Alexander Schallenberg zitiert (ÖVP).
Am Montag folgte dann sogleich die Retourkutsche der Türkei, die im Gegenzug den österreichischen Botschafter in Ankara zum Gespräch „lud“. Die Vorwürfe der Türkei, österreichische Behörden würden Veranstaltungen der „Terrororganisation PKK und ihrer Unterstützer" in Wien zulassen, wies Nehammer zurück. Die PKK sei in Österreich verboten, und so, wie man gegen den rechtsextremen Wolfsgruß vorgehe, gehe man auch gegen Symbole der PKK vor
Es sei „inakzeptabel, dass türkische Konflikte auf österreichischem Boden ausgetragen werden“, meinte der Innenminister. „Wir werden alles tun, dass zwei wesentliche Elemente der Demokratie gewahrt bleiben.“ Das betreffe sowohl das Recht, eine friedliche Kundgebung abhalten zu können, als auch das Gewaltmonopol der Polizei. „Niemand hat das Recht, Selbstjustiz zu üben, und Gewalt auszuüben.“ Der Verfassungsschutz habe bereits mit Ermittlungen begonnen, so Nehammer.
Gewaltbereite Jugendliche
Es habe sich gezeigt, dass es vor allem junge Menschen gewesen seien, die sich in Kleingruppen von 20 bis 40 Menschen gesammelt hätten und so die Polizei und die Kundgebungen immer wieder gestört hätten und dabei besonders gewaltbereit vorgegangen seien. Überraschend sei für die Polizei ihr relativ hoher Mobilisierungsgrad gewesen. In wenigen Stunden seien bis zu 500 Menschen mobilisiert worden. „Das ist zwar mit sozialen Medien kein großes Kunststück, aber ein Phänomen, dass uns noch nicht so oft begegnet ist“, analysierte der Landespolizeivizepräsident Franz Eigner.
Die Polizei werde jedenfalls im zehnten Bezirk stärker präsent sein, um rasch reagieren zu können, sollte es erneut zu Konflikten kommen. Weitere Kundgebungen sind zumindest für die nächsten Tage nicht angekündigt.
Dass man die rechtsextreme Organisation der Grauen Wölfe unterschätzt habe, stellte Nehammer in Abrede - der Verfassungsschutz beobachte die Szene seit langem "sehr genau". Es gelte nun zu klären, ob der verbotene Wolfsgruß von den gewaltbereiten Männern nur eingesetzt worden sei, um die demonstrierenden Kurden zu provozieren, oder ob tatsächlich die Organisation der Grauen Wölfe dahinterstecke.
„Kräfte aus dem Ausland"
„Wir werden uns sehr genau ansehen, wer hinter dieser Eskalation bei den Demonstrationen steckt“, sagte Nehammer. Integrationsministerin Raab hat bereits eine Vermutung: „Kräfte aus dem Ausland“, die über Vereine „auf Migrantengruppen Einfluss nehmen" und versuchen würden, die „Verbundenheit zum türkischen Staat aufrechtzuerhalten“ seien zumindest einer der Gründe, warum es zu derartigen Konflikten gekommen sei. Die Ausschreitungen hätten gezeigt, wie stark Parallelgesellschaften in Wien seien. Hier sei eine gelungene Integration besonders wichtig, die einerseits „fördere, aber auch bestimme Werte und Eigenengagement einfordert."
Nehammer stellte einen Runden Tisch mit dem Innenministerium, dem Integrationsministerium, dem Verfassungsschutz, dem Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit und dem Integrationsfonds wohl noch diese Woche in Aussicht. Auch will der Innenminister dem Nationalen Sicherheitsrat von den Vorfällen berichten.
Zusätzlich kündigte Raab an, dass die Dokumentationsstelle für den politischen Islam noch im Sommer ihre Arbeit aufnehmen werde. Ziel für den „staatlich legitimierten, aber unabhängigen“ Fonds sei es, auf wissenschaftlicher Grundlage Netzwerke und Vereine zu durchleuchten, die der Nährboden für extremistische islamische Ideologien seien.