Der belarussische Präsident erwägt laut Staatsfernsehen einen erneuten Urnengang - aber erst mit einer neuen Verfassung. Bisher hatte er sich strikt gegen eine Wiederholung der Präsidentenwahl ausgesprochen. Die EU setzte einen Sondergipfel für Mittwoch an.
Nach anhaltenden Massenprotesten in Belarus hat der umstrittene Staatschef Alexander Lukaschenko Verfassungsänderungen vorgeschlagen, die zu Neuwahlen führen könnten. "Wir brauchen eine neue Verfassung", sagte Lukaschenko dem weißrussischen Staatsfernsehen zufolge, das einen entsprechenden Ausschnitt am Montag zeigte. "Dazu müssen wir aber ein Referendum abhalten."
Erst mit einer neuen Verfassung könnte es, falls gewünscht, neue Abstimmungen für den Posten des Präsidenten, des Parlaments und andere wichtige Ämter geben, so Lukaschenko. Bisher hatte sich Lukaschenko strikt gegen Neuwahlen ausgesprochen.
Es sei bereit einen Kompromiss zu finden, aber nicht unter dem Druck von Protesten. Auch die Wahlkommission betonte abermals, dass sie keine Grundlage für eine Neuauszählung der Abstimmung sehe. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur RIA berichtet, Lukaschenko sei bereit, die Präsidentschaftswahl zu wiederholen - sobald eine neue Verfassung angenommen worden ist.
Zur Machtteilung bereit?
Eine Verfassungsänderung hatte Lukaschenko bereits als erstes Zugeständnis an die Opposition in Aussicht gestellt. Die Forderung der Opposition und der EU nach einer Neuwahl der Präsidentenwahl hatte er aber erst am Montag erneut zurückgewiesen. Es werde keine Neuwahl geben, wurde Lukaschenko von der Nachrichtenagentur Belta zitiert. Er sei aber bereit, die Macht zu teilen, allerdings nicht unter dem Druck von Protesten.
Es werde bereits an einer möglichen Verfassungsänderung gearbeitet, die eine Umverteilung der Macht vorsehe, sagte der Präsident am Montag bei einem Besuch des staatlichen Fahrzeugherstellers MZKT in Minsk der Staatsagentur Belta zufolge, ohne Details zu nennen. Der 65-Jährige regiert das Land seit 26 Jahren autoritär.
Litauen warnt Russland vor Eingreifen
Während sich die Lage in Belarus weiter zuspitzt, kommt nun eine deutliche Botschaft aus dem baltischen Staat Litauen an Moskau: Sollte Russland in seinem Nachbarland Belarus militärisch eingreifen, würde es sehr viel riskieren und an Popularität verlieren, sagte Litauens Außenminister Linas Linkevicius am Montag vor Journalisten. Litauen wertet eine mögliche russische Militärhilfe für das Regime in Belarus als Invasion. Für einen solchen Schritt gebe es keine rechtliche Basis, sagte Linkevicius. „Es wäre eine Invasion in dem Land und würde die letzten Spuren seiner Unabhängigkeit zerstören.“
Russlands Präsident Wladimir Putin hat dem umstrittenen weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko Hilfe zugesagt auf Grundlage eines Vertrags zur gegenseitigen militärischen Unterstützung. Die belarussische Armee begann unterdessen mit Militärübungen an der Grenze zu Litauen.
Lukaschenko behauptet, die Präsidentenwahl vor einer Woche mit rund 80 Prozent der Stimmen gewonnen zu haben. Er setzt alles daran, weiter an der Macht zu bleiben.
EU setzt Sondergipfel für Mittwoch an
Die Opposition und auch internationale Beobachter sprechen jedoch von massivem Wahlbetrug. Zehntausende gingen deshalb zuletzt in Minsk und anderen Städten in Belarus gegen Lukaschenko auf die Straße. Das Regime reagierte mit massiver Polizeigewalt.
EU-Ratspräsident Charles Michel setzte am Montag für Mittwoch (12.00 Uhr) einen Sonder-Videogipfel der Union an. Die Menschen in Weißrussland hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel am Montag auf Twitter.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an Lukaschenko, in den Dialog mit der Opposition einzutreten. An das weißrussische Militär gerichtet, sagte er, dieses dürfe sich "nicht durch Gewalt gegen das eigene Volk versündigen".
London: „Betrug“ bei Wahl in Belarus
Großbritannien erklärte am Montag, das offizielle, vom Regime veröffentlichte Ergebnis der Präsidentenwahl nicht anzuerkennen. Das Vereinigte Königreich „akzeptiert die Ergebnisse nicht“, sagte Außenminister Dominic Raab. Er sprach im Kurznachrichtendienst Twitter von „Betrug“ und „schweren Mängeln“.
Raab kritisierte auch die Unterdrückung der friedlichen Proteste nach der Wahl. „Die Welt hat mit Entsetzen auf die Gewalt geschaut, mit der die belarusischen Behörden die friedlichen Proteste nach dieser gefälschten Präsidentschaftswahl unterdrückten“, sagte Raab. Die Verantwortlichen für die Gewalt gegen friedliche Demonstranten müssten bestraft werden.
Tausende Demonstranten folgten am Montag unterdessen dem Aufruf der Opposition und versammelten sich vor mehreren Fabriken sowie dem Sitz des staatlichen Fernsehens in Minsk zu einem Generalstreik. Vor dem Minsker Radschlepperwerk (MZKT), den Lukaschenko besuchte, schwangen Demonstranten die rot-weiße Fahne der Opposition.
Tichanowskaja will Opposition anführen
Angesichts der andauernden Massenproteste hat sich Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja bereit erkärt, die Bewegung gegen Staatschef Lukaschenko anzuführen. "Ich wollte kein Politikerin sein, aber das Schicksal fügte es so", sagte die 37-Jährige am Montag in einer Videobotschaft aus ihrem Exil in Litauen. Es habe dazu geführt, "dass ich mich an der Frontlinie einer Konfrontation gegen Willkür-Herrschaft und Ungerechtigkeit wiederfinde".
Das wichtigste sei die Unabhängigkeit von Weißrussland. "Sie ist die Konstante, die unter keinen Umständen verloren gehen darf."
"Ich bin bereit, in dieser Zeit Verantwortung zu übernehmen und als nationale Anführerin zu handeln." Sie hoffe, dass sich mit diesem Schritt das Land beruhige, alle politischen Gefangenen freigelassen und sobald wie möglich neue Präsidentschaftswahlen angesetzt werden könnten.
Tichanowsjaka forderte die Sicherheitskräfte und Mitarbeiter der Justiz auf, die Seite zu wechseln: "Wenn Sie sich entscheiden, keine kriminellen Befehle mehr auszuführen und sich an die Seite der Menschen zu stellen, werden diese Ihnen vergeben."
( APA/Reuters/dpa)