Russland

Wie geht das? Moskau versteht die EU nicht

Der auf Interessenausgleich basierende Umgang der EU-27 miteinander ist Russland nicht geheuer.
Der auf Interessenausgleich basierende Umgang der EU-27 miteinander ist Russland nicht geheuer.(c) APA/AFP/DIMITAR DILKOFF
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Das machtbewusste Moskau sucht lieber bilaterale Kontakte – auch, um die EU von innen heraus zu schwächen.

Moskau. Seit Beginn seiner politischen Karriere hat Wladimir Putin ein Ziel verfolgt: den russischen Staat zu stärken und Russland erneut als Großmacht zu positionieren. Die nationale Souveränität steht im Zentrum dieser Anstrengungen. Während Putin die Macht des Nationalstaats ausbaute, wählten die europäischen Staaten den entgegengesetzten Weg. Im Rahmen der Europäischen Union haben sie bewusst nationale Befugnisse an eine übergeordnete, postnationale Struktur abgegeben. Aus der Perspektive des Kreml ist das schwer nachvollziehbar: Warum sollte ein Staat das freiwillig tun? Und: Kann all das überhaupt funktionieren?

Das ist einer von mehreren Gründen, warum Russland die europäische Idee mit Skepsis betrachtet. In der russischen historischen Erfahrung wird Integration mit Dominanz und Kontrolle assoziiert. Eine Gemeinschaft von 27 Gleichberechtigten ist für Moskau schwer vorstellbar. Dass große europäische Länder bisweilen nach der Pfeife von Kleinstaaten tanzen müssen, erschließt sich dem Kreml nicht. Warum lassen sich Frankreich und Deutschland das gefallen?

Jens Siegert hat Fragen wie diese schon oft gehört. Siegert leitet das Projekt „Public Diplomacy. EU and Russia“ des Goethe-Instituts in Moskau. Das Prinzip der Einstimmigkeit führe doch nur zu „faulen Kompromissen“, gibt er russische Bedenken wieder. Und dennoch ist die EU wichtig für Russland – nicht zuletzt als größter Handelspartner. Wäre die Union ein reines Wirtschaftsprojekt, dann hätte Moskau mit ihr „keine großen Probleme“, glaubt Siegert. Doch das Hybrid einer „Großmacht, die keine sein will“, bereite dem Kreml Kopfzerbrechen. Die Stärke der EU liegt nicht in militärischen Drohgebärden – etwas, auf das sich Moskau versteht –, sondern in ihrer Soft Power: dem Versprechen von Lebensqualität, Frieden, Wohlstand. Für Moskau ist das keine eigenständige Kategorie. „Soft Power ist ein Anhängsel von Hard Power und wird bewusst für politische Zwecke eingesetzt“, kommentiert Siegert.

Abtrünnige „Brüder“

Dass frühere Verbündete wie Polen und Tschechien eine EU-Mitgliedschaft anstrebten, musste Moskau zähneknirschend akzeptieren. In den Hauptstädten Mitteleuropas hat kaum jemand nostalgische Gefühle, wenn er an die Zeit hinter dem Eisernen Vorhang denkt. Als sich aber auch noch frühere Sowjetrepubliken wie die Ukraine oder Georgien der EU annähern wollten, akzeptierte ein inzwischen erstarktes Moskau das nicht mehr ohne Weiteres. Mit dem sich zuspitzenden neuen Ost-West-Konflikt rund um die Ukraine hat sich das schon vorher nicht einfache Verhältnis zwischen Russland und der Union weiter verschlechtert. Das spürt man auch im massenmedialen Umgangston: Staatliche Medien stellen die EU gern als schwachen politischen Spieler dar, der am Gängelband der USA hänge. Der Brexit, die Flüchtlingskrise oder auch europäische Protestbewegungen ließen bei vielen Russen die Überzeugung aufkommen, dass der Zerfall der EU nur noch eine Frage der Zeit sei. Daher notiere man „mit großem Erstaunen“ die Geschlossenheit der Union in der Frage der Russland-Sanktionen, sagt Siegert. Moskaus Haltung im Konflikt in der Ostukraine gibt wenig Hoffnung auf eine baldige Rücknahme der Strafmaßnahmen. Der Kreml hat sich dazu entschlossen, mittelfristig ihre Folgen in Kauf zu nehmen.

Das Prinzip „Teile und herrsche“

Die Doppelbödigkeit der russischen Diplomatie erschwert das Verhältnis zwischen Brüssel und Moskau zusätzlich. Die nach außen hin beteuerte Bereitschaft zum Dialog mit Brüssel wird konterkariert vom Versuch, die Union zu schwächen. Moskau sucht lieber den bilateralen Kontakt. Das Hofieren von Politikern aus Kleinstaaten mit Autoritarismus-Faible oder die Unterstützung EU-kritischer Parteien folgen diesem Muster. Doch manche Kreml-treuen Akteure haben sich als politische Randfiguren mit geringem Nutzen erwiesen. Eine weitere Schwierigkeit im Umgang ist Moskaus Lust an der Eskalation. „Russland macht ständig Dinge, die sich viele Menschen in der EU nicht vorstellen können“, sagt Siegert. „Das führt mit der Zeit dazu, dass diejenigen, die umworben werden, sich fragen: Was haben wir eigentlich davon?“ Stichwort Spionage, Cyber-Angriffe, Attentate. Vertrauen entsteht so nicht. Und so bleibt das Verhältnis wohl auch künftig distanziert. Wenn es sich nicht weiter verschlechtert, wäre das schon ein Erfolg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

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