Mutter Teresa: Ein Lächeln mit Zweifeln

Mutter Teresa
Mutter Teresa(c) Dpa/Tim Brakemeier (Tim Brakemeier)
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"Kreuz & quer" zeigt eine Dokumentation über Mutter Teresa - und ihre Zweifel: sogar sie, die mit ihrem allgegenwärtigen Lächeln die Ärmsten beglückte, fühlte sich oft im Stich gelassen: "Gott will mich nicht"

Wer vermag sich vorzustellen, was ein Mensch durchmacht, der in den ärmsten Regionen der Welt, zwischen Leprakranken, verdreckten Waisen und Sterbenden seiner Lebensaufgabe nachgeht – zu helfen? Ist es nicht nur zu selbstverständlich, wenn so ein Mensch Zweifel bekommt, mit Gott hadert? Sogar Mutter Teresa, die mit ihrem allgegenwärtigen Lächeln die Ärmsten beglückte und den Reichen die Almosen entlockte, fühlte sich oft und zunehmend im Stich gelassen: „Ich spreche von zärtlicher Liebe zu Gott und sehne mich danach, an sie zu glauben. Beten Sie, dass ich nach außen hin die Freude bewahren kann. Ich täusche die Menschen mit dieser Waffe. Selbst meine Schwestern“, schrieb sie einem ihrer Beichtväter – die Briefe sind 2007 als Buch erschienen. Sie haben Maria Magdalena Koller zu ihrer Dokumentation „Mutter Teresa – Heilige der Dunkelheit“ inspiriert, die am Dienstag im ORF gezeigt wird. Es sei eine „kritische, aber sehr respektvolle Annäherung“ an die Ordensgründerin (die vor 100 Jahren, am 26. August 1910, geboren wurde), meint sie.

Eine Kuhmelkerin stellt Mutter Teresa dar

Kein Porträt im klassischen Sinn, sondern eine Dokumentation über den schweren inneren Konflikt Mutter Teresas. Acht TV-Teams hätten sich beim Orden in Kalkutta beworben, um dort drehen zu dürfen, erzählt sie – anlässlich des hundertsten Geburtstags der Friedensnobelpreisträgerin war der Andrang groß. Nur Koller bekam schließlich nach langwieriger Überzeugungsarbeit die Genehmigung. „Ich habe mich dann auf die Suche nach einer Schauspielerin gemacht.“ Die Spielszenen stellen die Innenwelt von Mutter Teresa dar, während aus ihren Briefen gelesen wird. Drei Monate Casting vergingen ohne Erfolg. „Dann bin ich nach Rumänien gefahren, um nach Frauen zu suchen, die optisch Ähnlichkeit mit ihr haben. Die Darstellerin, die in der Dokumentation zu sehen ist, ist eine Kuhmelkerin, die weder Deutsch noch Englisch spricht und auch nicht wusste, wer Mutter Teresa war.“

Für die Originalaufnahmen, in denen man die mittlerweile seliggesprochene Missionarin sieht, hat Koller weltweit recherchiert. „Das tollste Material gab's in Indien. Aber es gehört der Regierung, und wir brauchten für nicht einmal zwei Minuten Aufnahmen einen Briefverkehr von 70 E-Mails.“ Die Mühe hat sich gelohnt – bereits vor der Erstausstrahlung wurde die Dokumentation bei der Fernsehmesse in Cannes 13-mal verkauft.

Koller kennt Indien von mehreren Seiten. „Erst war ich in Rajasthan auf Urlaub – das war Luxus pur. Dann bin ich nach Kalkutta gefahren und habe in einer Slumherberge gegenüber dem Ordenshaus gewohnt. Das Elend ist tragisch, aber wenn man in der Nacht mit den Schwestern durch die Gassen geht, die an die Menschen Decken verteilen, hat man das Gefühl, sie werden respektvoll behandelt, obwohl sie auf der Straße schlafen. Man sieht dann, dass es jemanden gibt, der etwas für diese armen Leute tut – damit ist das Gefühl der Ohnmacht nicht so stark.“

Am schlimmsten sei es im Sterbehaus. „Da gibt es keinen Vorraum, man stolpert hinein und da liegen 50 Menschen, es ist laut, es stinkt, es ist heiß. Das war für mich das Gefühl von Endstation.“ Ihren Freunden schickte Koller SMS-Nachrichten: „Greetings from hell.“ Die Slums, das sei für sie „ein Schock“ gewesen: „Da ist null Hoffnung. Es ist laut, es gibt keinen Quadratmeter Intimität. Überall wird man mit Massen konfrontiert, dazu der Lärm. Das ist fast wie eine Bedrohung. Ich habe gut verstanden, dass man dort entweder verrückt wird oder Zweifel kriegt. Die hat wahrscheinlich jeder denkende Mensch. Wenn man allen Menschen helfen möchte, dann muss man dort verzweifeln.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2010)

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