Londoner Gericht entscheidet am heutigen Montag über die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers an die USA.
London. Die Mauern um das „Gefängnis Ihrer Majestät“ HMP Belmarsh sind so hoch wie ein zweigeschoßiges Einfamilienhaus. Wo man hinblickt, sind Überwachungskameras und Scheinwerfer angebracht. In der schwer gesicherten Anstalt im Südosten Londons sind etwa 900 Gefangene inhaftiert: die berüchtigtsten Terroristen, Mörder und Sexualverbrecher des Vereinigten Königreichs – und WikiLeaks-Gründer Julian Assange.
Heute, Montag, entscheidet ein britisches Gericht über Assanges Zukunft – ob der 49-Jährige an die USA ausgeliefert wird, wo er unter anderem wegen Spionage angeklagt ist. In den Vereinigten Staaten droht ihm im Fall einer Verurteilung ein Strafmaß von bis zu 175 Jahren.
Die US-Justiz wirft dem gebürtigen Australier vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning – früher Bradley Manning – geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Assange habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, lautet der Vorwurf.
Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht gebracht hat – ein Video dokumentierte die Tötung von Zivilisten im Irak.
Der chinesische Künstler Ai Wei Wei, Ex-Model Pamela Anderson und viele andere Prominente machten sich bereits für Assange stark und besuchten ihn im Gefängnis. Doch Besucher werden in Belmarsh seit dem Ausbruch der Coronapandemie keine mehr empfangen. „Ich habe ihn seit März nicht mehr gesehen und seine Partnerin und seine Familie seitdem nur einmal“, sagt Assanges Vater, John Shipton, der Deutschen Presse-Agentur.
Hoffen auf Begnadigung durch Biden
Der 76-jährige Shipton reist seit Jahren unermüdlich um die Welt, um für die Freilassung seines Sohnes zu werben. Eigentlich wollte er Anfang Jänner in die USA fliegen, um den Kontakt mit dem Team des künftigen US-Präsidenten Joe Biden aufzunehmen. Doch die Coronapandemie hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er kann Australien derzeit nicht verlassen. Von dem Demokraten Biden erhofft sich Shipton eine Begnadigung für seinen Sohn, sollte er ausgeliefert werden.
Immerhin hatte der frühere US-Präsident Barack Obama der Whistleblowerin Chelsea Manning die Haftstrafe erlassen. Für erneuten Ärger sorgte damals jedoch, dass WikiLeaks wenige Wochen vor der US-Wahl im Jahr 2016 gehackte E-Mails aus dem Team der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton veröffentlichte – die daraufhin die Wahl gegen Donald Trump verlor. Vielleicht deshalb gibt es sogar in der republikanischen Partei inzwischen Stimmen, die sich für ein Pardon aussprechen. Die ehemalige Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, veröffentlichte im Dezember ein Video, in dem sie für seine Begnadigung plädierte.
„Böswillige“ Behandlung
Shipton ist zwar überzeugt, dass die Verteidiger seines Sohnes die besseren Argumente haben, trotzdem fürchtet er, es könne am 4. Jänner eine Niederlage vor Gericht geben. Grund dafür sei vor allem die aus seiner Sicht „willkürliche und böswillige“ Behandlung seines Sohnes in dem Verfahren. Während der Anhörungen im Gericht müsse Assange in einem Glaskasten sitzen; nur durch einen schmalen Spalt könne er mit seinen Anwälten kommunizieren. Einen Antrag, ihn im Gerichtssaal neben seinen Verteidigern Platz nehmen zu lassen, habe die Richterin abgelehnt. Bevor er in den Saal geführt wird, werde er zudem demütigenden Leibesvisitationen unterzogen. Auch Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen haben sich für die Freilassung von Assange eingesetzt und Kritik an der „politisch motivierten“ US-Anklage geäußert.
Immerhin, so ist aus Familienkreisen zu hören, könne Assange inzwischen regelmäßig mit seiner Partnerin telefonieren, wenn auch nur zehn Minuten pro Anruf. Er ist seit 2015 mit der Anwältin Stella Morris liiert, mit der er zwei Kinder hat. Die Beziehung, die sich während eines mehr als sechsjährigen Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft in London entwickelte, blieb der Öffentlichkeit lange Zeit verborgen.
Assange hatte sich 2012 aus Furcht vor einer Auslieferung nach Schweden und weiter in die USA in die Londoner Landesvertretung Ecuadors gerettet und blieb dort bis zu seiner Festnahme im Frühjahr 2019. Ermittlungen in Schweden wegen Vergewaltigungsvorwürfen wurden später eingestellt. Ganz gleich, wie das heutige Urteil ausfällt. Das Ringen um das Schicksal Assanges wird damit nicht zu Ende sein. Beide Seiten, so wird erwartet, werden im Fall einer Niederlage in Berufung gehen. (dpa/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2021)