Corona-Maßnahmen

Machtkampf zwischen Merkel und deutschen Bundesländern

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel (c) via REUTERS (MICHAEL KAPPELER)
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Die deutsche Kanzlerin setzt auf öffentlichen Druck und wirft den Länderchefs politische Spielchen vor. Jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt für Öffnungsschritte. Sie denkt über bundeseinheitliche Regeln nach.

Nach der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, fordern weitere Ministerpräsidenten angesichts steigender Neuinfektionen einen härteren Coronakurs in Deutschland. Es sei nicht die Zeit für Lockerungen und Modellprojekte, sagte Bremens Bürgermeister, Andreas Bovenschulte (SPD), am Montag im Deutschlandfunk. "Wir müssen die bestehenden Beschlüsse umsetzen."

Merkel hatte die Ministerpräsidenten am Sonntagabend gedrängt, angesichts schnell steigender Neuinfektionen die gemeinsam verabredete "Notbremse" mit mehr einschränkenden Maßnahmen konsequent umzusetzen. Etliche Länder haben dies aber nicht getan. Wie Merkel sprachen sich Bayern, Brandenburg, Sachsen und Hamburg für einen härteren Kurs aus. Thüringens Ministerpräsident, Bodo Ramelow (Linke), verwahrte sich zwar gegen Merkels Kritik, äußerte aber keine Einwände gegen eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes.

Merkel denkt über Bundesregelungen nach

"Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben", hatte Merkel gesagt. Andernfalls werde sie bundeseinheitliche Regelungen in Erwägung ziehen. Sie bezog sich auf eine Warnung des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen ohne harte Maßnahmen auf diese Größenordnung steigen könnten. Das RKI meldete am Montag erneut stark gestiegene Infektionszahlen. Merkel hatte eine weitere Besprechung mit den Länderchefs abgelehnt, die nach dem Infektionsschutzgesetz für die Umsetzung der Corona-Einschränkungen zuständig sind. Die Länder müssten jetzt einfach handeln.

Etliche Bundesländer haben die Notbremse nicht wie vereinbart umgesetzt. Diese sieht nach den Beschlüssen der Bund-Länder-Runde vor, dass Öffnungsschritte zurückgenommen werden müssen, wenn die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz über den Wert von 100 steigt. Einige Länder legen dies aber so aus, dass zwar neue Kontaktbeschränkungen kommen, aber Öffnungsschritte etwa im Handel in Kombination mit Negativtests beibehalten werden sollen. Zudem gibt es Modellprojekte, in denen in den kommenden Tagen Öffnungsschritte an vermehrtes Testen geknüpft werden sollten. Besonders umstritten war die Ankündigung der saarländischen Landesregierung, das ganze Bundesland zu einer Modellregion zu erklären. Lockerungen mit einer Testpflicht sollen nach Ostern eingeführt werden - allerdings nur, wenn die Inzidenz nicht über 100 steigt. Am Montag lag sie im Saarland bei 79,8. Die Länder wollen zudem mit dem Bund nicht mehr über die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten sprechen, obwohl auch dort viele Infektionen festgestellt wurden.

Augenmerk der Kanzlerin auf Saarland, Berlin und NRW

Besonders umstritten ist das Pochen der deutschen Bundeskanzlerin auf zusätzliche Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen. Bovenschulte sieht Letzteres kritisch und verweist auf Studien, wonach dies nichts bringe. Bayerns Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), hatte dagegen gegenüber der ARD erklärt, die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie in anderen europäischen Staaten sei genau mit diesen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen verbunden gewesen. Er warf SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und den SPD-Ländern vor, auf der Ministerpräsidentenkonferenz vehement gegen solche Beschränkungen gewesen zu sein. Die ebenfalls von der SPD geführte Regierung in Brandenburg führte solche Ausgangsbeschränkungen am Wochenende ein. In Bayern, Thüringen, Baden-Württemberg und Sachsen gibt es sie bereits punktuell.

Merkel hatte am Sonntagabend vor allem Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Berlin kritisiert. Ohne weitere Bundesländer zu nennen, bemängelte sie zudem, dass einige Landesregierungen die beschlossenen Modellregionen mit dem verabredeten vermehrten Testen nicht für die Senkung der Infektionszahlen, sondern für weitere Öffnungsschritte einsetzten.

CDU-Ministerpräsidenten weisen Kritik zurück

Kritik an Merkel und anderen Landesregierungen kam von Thüringens Ministerpräsident Ramelow. "Ich bin es wirklich leid, mir anhören zu müssen, was man hätte tun müssen, aber selbst tatsächlich nichts getan hat", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. So habe Bayern vor der letzten Ministerpräsidentenkonferenz selbst die Baumärkte aufgemacht.

CDU-Ministerpräsidenten wie Armin Laschet - der auch CDU-Chef ist - und Tobias Hans Kritik von Merkel zurück. Zwar unterstützte auch Nordrhein-Westfalens Regierungschef Laschet am Montag den von der Kanzlerin geforderten härteren Corona-Kurs angesichts steigender Infektionszahlen. Aber der CDU-Chef beharrte ebenso wie der saarländische Ministerpräsident Hans auf dem in ihren Ländern eingeschlagenen Weg.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wiederum wies Merkels Drohung zurück, dass sie den Ländern über das Infektionsschutzgesetz strengere Vorgaben für Corona-Einschränkungen machen könne. "Ich rate davon ab, das Regelwerk zu zentralisieren und die Gesetze zu verschärfen", sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende dem "Handelsblatt".

Auch Hans wehrte sich gegen Kritik, dass die Landesregierung das ganze Bundesland zu einer Modellregion erklären will. Dass man Öffnungsschritte mit einem vermehrten Testen verbinde, entspreche den Beschlüssen der Bund-Länder-Runden. Eine Sprecherin der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nannte das Vorhaben "kontraproduktiv". Auch Bayern hat Modellversuche geplant, in denen Lockerungen mit Testpflichten verbunden werden sollen.

Laschet forderte eine personelle Begrenzung der nächsten Bund-Länder-Chefrunden und dass diese wieder in Präsenz stattfinden sollten. "16 Regierungschefs und die Bundeskanzlerin – das hat im Jahr 2020 gut funktioniert", sagte er. Der SPD warf er eine parteipolitische Instrumentalisierung des Corona-Themas vor und stellte die Teilnahme von Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz an Bund-Länder-Runden infrage. "Wenn der Vizekanzler als SPD-Vertreter dabei sein soll, ist das nicht das Format der MPK (Ministerpräsidentenkonferenz, Anm. d. Red.)", sagte Laschet.

Grüne Baerbock für Homeoffice-Ausweitung

Die deutsche Wirtschaft kritisierte unterdessen Drohungen der Politik, eine Coronavirus-Testpflicht für Unternehmen einzuführen. Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger sagte, private Firmen hätten ihre Anstrengungen zuletzt stark ausgeweitet. Kanzlerin Merkel hatte am Sonntagabend gesagt, dass die Pflicht zum Angebot eines zweimaligen Tests für Mitarbeiter wohl kommen müsse, da die Wirtschaft die Selbstverpflichtung nicht ausreichend umsetze. Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock forderte wie Merkel eine Ausweitung des Homeoffice. In Büros solle nur noch gearbeitet werden, wenn dies absolut notwendig sei.

Das RKI meldete am Montag 9872 Corona-Neuinfektionen in Deutschland. Das sind 2163 mehr als am Montag vergangener Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 134,4 von 129,7 am Sonntag. Vor einer Woche lag sie bei 107,3. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. 43 weitere Menschen sind in den vergangenen 24 Stunden in Deutschland nach einer Infektion mit dem Virus gestorben.

(APA/Reuters)

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