Das neue Gesetz beschneidet die Rechte von sexuellen Minderheiten und rückt deren Identität in die Nähe von Pädophilie. Jugendliche sollen künftig außerdem nicht mehr mit queeren Inhalten in Kontakt kommen.
Mit 157 Ja-Stimmen und einer Nein-Stimme ist am heutigen Dienstag im ungarischen Parlament das umstrittene Anti-Pädophilen-Gesetz verabschiedet worden. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Die Abgeordneten der rechtsradikalen Jobbik-Partei stimmten jedoch für das Gesetz, das Rechte und Schutz von homosexuellen und transsexuellen Jugendlichen beschneidet. Noch am Montag hatten Tausende gegen das Gesetz demonstriert.
Das neue Gesetz löst mehrere Kontroversen aus. Das Hauptproblem iat, dass es bewusst Homosexualität mit Sexualstraftaten gegen Kinder vermische. Das Gesetz würde Meinungsfreiheit und Kinderrechte massiv schmälern, und ziele darauf ab, sexuelle Minderheiten, Transpersonen und Menschen, die sich nicht einem der beiden Geschlechter zuordnen, völlig aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen, lautete die Kritik der Opposition. Es verbietet auch Bücher sowie Filme für Kinder und Jugendliche, in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen Norm abweicht. Nicht "die Homosexuellen sind eine Gefahr für die Kinder, sondern Sie", bezichtigte Timea Szabo, Fraktionschefin der Oppositionspartei Parbeszed (Dialog), die Fidesz-Abgeordneten.
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte am Rande eines Treffens mit Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune, sie habe das ungarische Projekt nicht im Detail verfolgt. Europa sei geeint, dass es keine Diskriminierung geben dürfe. Sie hoffe, dass die Aktion nicht gegen europäische Werte verstoße. Beaune nannte die Situation in Ungarn "besorgniserregend". Sollte es eine berechtigte Sorge zu sexueller Diskriminierung geben, "werden wir die Stimme erheben", sagte er. Es gehe nicht um Einmischung, sondern darum, Europa zu verteidigen.
Eingriff in freie Meinungsäußerung
Ewa Ernst-Dziedzic, die Sprecherin der Grünen für LGBTIQ und Menschenrechte, verurteilte das "perfide Spiel" Orbáns, der Homosexualität mit Missbrauch an Kindern gleichsetze. Das heute verabschiedete Gesetz sei ein "Dammbruch sondergleichen". "Noch nie ist der Abbau von LGBTIQ-Rechten in der Europäischen Union so rasant vorangeschritten wie aktuell in Ungarn", so Ernst-Dziedzic in einer Aussendung. Sie forderte, autoritäre Tendenzen entschieden zurückzuweisen und "Orbán mit einer Stimme geschlossen" entgegenzutreten. Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, forderte von der EU, Orbán und seine Politik "klar in die Schranken zu weisen".
Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, hatte im Vorfeld in einer Aussendung die ungarischen Parlamentsabgeordneten aufgefordert, nicht für das Gesetz zu stimmen. Dieses sei nicht nur ein Angriff gegen Rechte und Identität von LGBTIQA+-Menschen, sondern würde zugleich die Freiheit von Meinungsäußerung und Unterricht eines jeden Ungarn beschneiden. Die Rechtsregel stünde im Gegensatz zu den internationalen und europäischen Menschenrechtsnormen, heißt es in der Aussendung.
Die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, verwies am Dienstag in einem Interview der Thomson Reuters Foundation kurz vor der Abstimmung im ungarischen Parlament auf das Vorgehen gegen Regionen in Polen, die sich zu sogenannten "LGBT-freie" Zonen erklärt hatten. "Die Botschaft lautet: Wenn Sie die Werte der Demokratie oder Gleichheit der EU nicht hochhalten, sind Sie nicht berechtigt, Geld für Ihr Projekt zu erhalten." Die EU hatte bei mehreren polnischen Städten Gelder zurückgehalten.
LGBTIQA+
LGBTIQA+ ist ein Akronym und steht für die Begriffe „Lesbian“ (lesbisch), „Gay“ (schwul), „Bisexual“ (bisexuell), „Transgender", „Intersex", „Queer" und „Asexual“ (asexuell). Das Plus am Ende soll auch jene Menschen in diese Gruppe miteinbeziehen, die sich selbst eine andere Zuschreibung geben, als die genannten. „LGBT“ ist eine häufig gebrauchte Kurzform davon.
Mit dem Adjektiv „queer“ bezeichnen sich viele Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der heteronormativen Norm entspricht.
(APA)