Italien

Rechtspopulistischer Flirt mit den Impfgegnern

Matteo Salvini
Matteo Salvini Imago
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Während die Regierung für eine höhere Impfquote kämpft, sympathisieren rechte Parteien offen mit den Gegnern der Corona-Maßnahmen .

Italien. Mit Trillerpfeifen, Tröten und Plakaten ziehen ein paar Hundert Demonstranten durch die Straßen Mailands. Sie wechseln „Libertà, libertà!“-Rufe mit ihrer Kernforderung ab: „No Green Pass! No Green Pass!“. Diese Kundgebung fand bereits am Donnerstag statt, um gegen die Einführung des Corona-Impfzertifikats zu demonstrieren, das in Italien „Green Pass“ heißt. Seit Freitag ist in Italien dieses Zertifikat Pflicht, um Museen und Theater besuchen, oder in Innenräumen von Restaurants essen zu dürfen. Auch Lehrer und Schulpersonal müssen den Pass im neuen Schuljahr täglich zeigen – wer ihn fünf Tage lang nicht vorweisen kann, wird ohne Bezahlung von der Arbeit suspendiert.

Das geht den Demonstranten zu weit. Sie fürchten einen Impfzwang. Eine Frau hat ein Hakenkreuz auf ein Poster gezeichnet und dazu geschrieben: „Wir sagen Nein zur Covid-Diktatur!“ Fast täglich finden in Italien derzeit ähnliche Demonstrationen statt. Sie begannen vor rund zwei Wochen, als die Regierung die „Green-Pass“-Pflicht beschlossen hatte. Besonders heftig waren die Proteste in Rom, Neapel und Genua, wo die Demonstranten sich mit den Opfern der Judenverfolgung in Nazideutschland verglichen.

Doch die Regierung von Mario Draghi hält ihren Kurs. Sie versucht, einen möglichst großen Teil der Menschen, die älter als zwölf Jahre sind, davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Nur Matteo Salvini, Chef der mitregierenden rechten Lega, ist dagegen. Die Demonstranten auf den Piazze müssten „angehört und verstanden“ werden, man dürfe sie nicht verurteilen, sagte er. Er versprach, die „Green Pass“-Verpflichtung abzuschwächen. Ohne Erfolg: Das Zertifikat wurde wie geplant eingeführt.

Salvinis Sonderstellung

Das zeigt deutlich, wie Salvini derzeit agiert und bewusst mit den „Green-Pass“-Gegnern und den Impfgegnern sympathisiert. Dabei vollführt er einen beachtlichen Balanceakt: Denn seine Partei ist ein festes Mitglied des Regierungsbündnisses und kann sich daher nicht zu weit von Draghis eindeutiger Pro-Impf-Linie entfernen. Gleichzeitig ist Salvini zwar Vorsitzender der Lega, hat in der Regierung aber kein Amt übernommen: Damit flirtet er nicht in einer Funktion als Minister mit den Impfgegnern. Nur durch diese Konstruktion ist es ihm möglich, sich so weit von der Regierungslinie zu entfernen. Die Minister, die die Lega stellt, nehmen sich diese Sonderstellung nicht heraus.

„Impfgegner an der Regierung“

Salvinis Gratwanderung hat dabei einen eindeutigen Zweck: Er fischt unter den Demonstranten und Impfgegnern um Zustimmung an der Wahlurne. Denn die Zeitung „La Repubblica“ hat errechnet, dass elf bis 13 Prozent der Italiener gegen die Impfung sind. Ihre Stimmen könnten bei der nächsten Wahl 2023 bedeutsam werden, weil die Impfgegner größtenteils mit Salvini und seiner direkten Konkurrentin, Giorgia Meloni der rechtsnationalen Partei Fratelli d'Italia, sympathisieren. Melonis und Salvinis Parteien kämpfen derzeit in Umfragen um den ersten Platz – die Stimmen der Impfgegner sind daher doppelt wichtig.

Meloni hat Salvini gegenüber aber einen Vorteil: Ihre Partei hat sich als einzige nicht der Regierung von Premier Draghi angeschlossen. Sie kann daher glaubhafter Opposition betreiben als Salvini – und tut das bei jeder Gelegenheit.

So sagte Meloni etwa in Bezug auf die widersprüchlichen Informationen zum AstraZeneca-Vakzin: „In Wirklichkeit sind Impfgegner an der Regierung, weil das Ernsthafteste, was für die Impfkampagne getan werden kann, Transparenz und Seriosität der Informationen sind, und daran hat es bisher immer gefehlt.“ Im gleichen Atemzug nannte sie die neuen „Green-Pass“-Verpflichtungen „einen verstecken Impfzwang“.

Gleichzeitig müssen sowohl Meloni als auch Salvini darauf achten, die restlichen Wähler mit ihrem Kurs nicht zu sehr zu verstören. Denn die überwiegende Mehrheit unterstützt Draghis Kurs, will sich gegen das Coronavirus impfen lassen oder hat es bereits getan – 54 Prozent sind bereits voll immunisiert.

Daher haben sich Salvini und Meloni nach langem Hin- und Her und verschiedenen Verzögerungstaktiken Ende Juli impfen lassen: Monate nachdem sie gemäß dem Impfplan an der Reihe gewesen wären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2021)

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