Gemeinderatswahl

Das (dunkel-)rote Dilemma in Graz

GRAZ-WAHL: EHMANN / NAGL / KAHR / SCHWENTNER
GRAZ-WAHL: EHMANN / NAGL / KAHR / SCHWENTNERAPA/ERWIN SCHERIAU
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Mit Sozialdemokraten und Grünen hat die KPÖ eine Mehrheit im Gemeinderat. Stützt die SPÖ eine Bürgermeisterin Elke Kahr aber auch ohne eigenen Regierungssitz?

Elke Kahr mag keine klassische Berufspolitikerin sein, aber in einer Sache ist sie geübt: Sprechstunden. Für gewöhnlich berät die Chefin der Kommunisten in Graz die Bevölkerung bei Mietproblemen.

Und auch in den kommenden Tagen lädt Kahr zu Gesprächsrunden ein – dieses Mal aber sind es ihre Kollegen im Stadtrat, die zu ihr kommen sollen. Kahr muss erstmals in ihrer Karriere sondieren: Bei der Gemeinderatswahl am Sonntag erreichten die Kommunisten 28,84 Prozent – und damit völlig überraschend Platz eins. Die bisher regierende ÖVP stürzte auf knapp 26 Prozent ab. Bürgermeister Siegfried Nagl kündigte schon am Wahlabend seinen Rückzug an. Und nun möchte eben Kahr – nach einer ersten Schrecksekunde – Stadtchefin werden. Dafür ist sie auf der Suche nach einer Mehrheit, die sie unterstützt.

Links der Mitte würde sie sich auch bequem finden lassen. Im Gemeinderat hätten KPÖ, Grüne und SPÖ mit 28 von 48 Sitzen eine Mehrheit: Für die Partei von Elke Kahr sind dort 15 Mandate (statt bisher zehn) reserviert. Die Grünen erhalten neun (statt fünf) Sitze. Die SPÖ verliert ein Mandat und hat vier Sitze.

Die ÖVP verliert sechs Mandate und stellt nun 13 Gemeinderäte. Bei der FPÖ sind es fünf (statt acht). Die Neos erhalten zwei statt nur eines Sitzes.

KPÖ erhält drei Stadtsenate

Und auch im Stadtsenat, also der Stadtregierung, hätte Kahr eine linke Mehrheit. Auf die Vergabe der Sitze hat die Kommunistin keinen Einfluss, denn zuallererst regiert in Graz der Proporz: Nach diesem System werden die Sitze im Stadtsenat vergeben. Die KPÖ erhält demnach drei Posten, die ÖVP zwei – Grüne und Freiheitliche jeweils einen Sitz.

Und trotzdem gibt es ein Dilemma – vor allem für die SPÖ. Die Sozialdemokraten wollten am Sonntag so stark werden, dass ihnen ein Stadtrat zusteht. Sie scheiterten – und verloren sogar weitere Stimmen. Mit 9,5 Prozent ist die SPÖ nur noch einstellig. Soll sie also wirklich Kahr zur Bürgermeisterin wählen, ein Arbeitsübereinkommen mit der KPÖ bilden – ohne selbst Teil des Stadtsenats zu sein? Würde die SPÖ damit regieren, ohne in der Regierung zu sein?

Am Dienstagnachmittag wollte man diese Frage in der Grazer SPÖ jedenfalls noch nicht beantworten. Kahr hatte sich zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal gemeldet, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, heißt es zur „Presse“. Auch die politische Zukunft des Spitzenkandidaten Michael Ehmann ist noch offen. Er wolle jedenfalls noch so lang in seiner Funktion bleiben, um die Gespräche mit der KPÖ führen zu können.

Kurz wurde auch darüber spekuliert, ob die Kommunisten der SPÖ ein Angebot machen könnten: Für den dritten Posten im Stadtsenat könnte die KPÖ jemanden von den Sozialdemokraten nominieren. Schon am Dienstagnachmittag wurde allerdings bekannt, dass daraus nichts wird: Die KPÖ nominierte Manfred Eber als dritten Stadtrat. Derzeit ist er Klubobmann im Gemeinderat.

ÖVP und FPÖ nach Absturz

Am Freitag will Kahr das Ergebnis ihrer Gespräche präsentieren. Zuvor will sie übrigens mit allen Parteien sprechen. Mit ÖVP und FPÖ ist eine Koalition aber ohnehin ausgeschlossen. Die beiden Parteien sind nun in erster Linie mit ihren Wahlergebnissen beschäftigt. Der neue ÖVP-Chef, Kurt Hohensinner, übernahm am Montag die Agenden. „Niemand hätte sich in den bösesten Träumen so ein Ergebnis vorgestellt, aber wir müssen uns nun dem Ergebnis stellen“, sagte er zur Austria Presseagentur. Und: „Ich nehme an, dass wir eine kantige Oppositionspolitik machen werden.“

Das gilt auch für die Freiheitlichen: Sie stürzten auf knappe elf Prozent ab. Die Partei lässt sich mit der Analyse und möglichen Konsequenzen aber noch etwas Zeit. Erst am Donnerstag wird die Stadtparteileitung tagen. Ob Mario Eustacchio, bisher Vizebürgermeister, im Amt bleibt, ist unklar.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2021)

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