Bundesbahn-Mulatság mit schweren Folgen

(c) Michaela Bruckberger
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Der Kauf der ungarischen MÁV Cargo lastet schwer auf den ÖBB, nicht nur wirtschaftlich. Jetzt befasst sich auch die Justiz mit dem Zustandekommen des Deals. Zentrale Frage: Floss mehr Geld als bisher angenommen?

Die Antrittspressekonferenz von Christian Kern am 10. September war an Dramatik kaum zu überbieten. Damals berichtete der ÖBB-Chef – gerade 100 Tage im Amt – über den Zustand der Bundesbahnen. Nichts für sensible Gemüter: Die Lage sei sehr ernst, gab Kern zu Protokoll, vor allem die ÖBB-Güterverkehrstochter RCA stehe „auf der Kippe“. Für sie müsse heuer mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe gerechnet werden – „mit einem Einser davor“.

Heute weiß man: Die Dramatik lässt sich steigern. ÖBB-Insider berichten, dass Kerns düstere RCA-Prognose noch zu optimistisch war – die Verlustzahlen werden zweifellos deutlich höher ausfallen.

Kern selbst will sich da noch nicht festlegen. „Jetzt geht es darum, Versäumnisse der letzten Jahre rasch aufzuholen“, sagt er diplomatisch. Intern soll es freilich weniger höflich zugehen. Da soll er bisweilen schon seinem Ärger über die „hundsmiserable Performance“ in der RCA Luft machen.

Die Güterverkehrstochter kämpft tatsächlich ums Überleben – und einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu liefert eine vor fast drei Jahren getätigte Akquisition: Der Erwerb der ungarischen MÁV Cargo Anfang 2008 war tatsächlich alles andere als ein Glücksgriff. Rund 400 Millionen Euro haben die ÖBB seinerzeit für das Unternehmen hingeblättert. Zuzüglich Finanzierungskosten, Rückstellungen etc. belastet die MÁV Cargo die ÖBB mittlerweile mit rund 800Millionen Euro.

Das sind allerdings „nur“ die finanziellen Zores, die sich die ÖBB mit der ungarischen Gesellschaft eingetreten haben. Mittlerweile beschäftigt die Transaktion auch die Justiz. Im Mittelpunkt der Ermittlungen: Ein Vertrag, den der frühere RCA-Vorstand Gustav Poschalko mit der ungarischen Lobbyingagentur Geuronet abgeschlossen hat. Der ist einerseits inhaltlich ziemlich diffus, andererseits wurde Geuronet-Lobbyist András Gulya ein Millionenhonorar für seine „Dienste“ überwiesen.

Für die ungarischen Ermittler passt das alles nicht zusammen. Sie wittern Schmiergeldzahlungen. Vor drei Wochen erfolgte schließlich der Paukenschlag: Aufgrund eines Rechtshilfeersuchens Ungarns wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt – in Poschalkos Wohnung und Büro sowie bei einem ÖBB-Prokuristen, der den Geuronet-Vertrag ebenfalls unterzeichnet hatte. Für alle Betroffenen gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Doch mittlerweile ermittelt auch die österreichische Korruptionsstaatsanwaltschaft. Und in den ÖBB wurde die Konzernrevision beauftragt, die Transaktion genauestens unter die Lupe zu nehmen.

Einfach wird das nicht. Nicht nur, weil die Umstände für das Zustandekommen des Deals höchst undurchsichtig sind. Auch, weil einer der involvierten Manager, nämlich Gustav Poschalko, in den ÖBB als „graue Eminenz“ gilt, hervorragende Kontakte zur SPÖ genießt und somit allerlei schützende Hände über sich hat. Nach dem MÁV-Cargo-Deal wurde Poschalko prompt mit dem Job des ÖBB-Holding-Vorstands belohnt – als damals 67-Jähriger. Sein Vorstandsvertrag läuft noch bis Ende des Jahres. Drei ihm zugesicherte Aufsichtsratsmandate wurden ihm wegen der MÁV-Sache zwar entzogen, dafür hat er einen zweijährigen Konsulentenvertrag in der Tasche.

Rätselhaft – genau wie die Chronologie des MÁV-Deals: Die ÖBB machten sich Anfang 2007 auf die Suche nach einem Lobbyisten, um die Chancen im Bieterkampf um die MÁV Cargo zu erhöhen. Angeblich favorisierte Poschalko den Lobbyisten Zoltan Aczel, der gemeinsam mit dem Österreicher Alexander Zach schon für die Strabag in Ungarn tätig gewesen war. Doch ÖBB-Aufsichtsratspräsident Horst Pöchhacker machte sich für die Firma Geuronet und András Gulya stark – ein völlig unbekannter „Lobbyist“, wohlgemerkt.

Gulya bekam den Auftrag. Feine Sache, keine Frage. Denn die Aufgaben, die ihm übertragen wurden, waren keineswegs abendfüllend, dafür sehr unkonkret: Im sechsseitigen Dienstleistungsvertrag, der der „Presse“ vorliegt, wurde Geuronet bloß beauftragt, „verschiedene mittel- und langfristige Strategien“ auszuarbeiten, „die ungarische Presse, Medien, etc.“ zu verfolgen und den ÖBB ein „Medienkonzept“ vorzulegen.

Interessanterweise wurde der Vertrag von RCA-Seite nur von einem Vorstand, nämlich Poschalko, und einem Prokuristen unterschrieben. RCA-Vorstand Ferdinand Schmidt soll sich geweigert haben, Verantwortung für den Vertrag zu tragen. Poschalko rechtfertigt sein Solovorgehen heute damit, dass er das Holding-Aufsichtsratspräsidium, nämlich Horst Pöchhacker und Eduard Saxinger, informiert habe. Was von der Revision schwer zu klären sein wird: Schriftlich wurde nichts festgehalten.

Dass heute keiner etwas von dem Vertrag gewusst haben will, ist verständlich. Das Erfolgshonorar, das Gulya in Aussicht gestellt wurde, ist für solche Geschäfte absolut unüblich. Normalerweise wird entweder ein Pauschalhonorar vereinbart. Oder aber ein degressives Erfolgshonorar: je niedriger der Kaufpreis, desto höher das Honorar für den „Berater“. Eigentlich logisch, nicht so aber im Fall Geuronet: Gulya wurde eine gestaffelte Erfolgsprämie zugesichert. Je höher die Kaufsumme, desto mehr Geld sollte er einstreifen.

Die Frage, wie hoch dieses Honorar letztlich war, bringt ebenfalls Seltsames zutage: Offiziell ist von sieben Millionen Euro die Rede. Nicht übel angesichts der überschaubaren Leistungen, die Gulya zu erbringen hatte. „Presse“-Recherchen ergaben allerdings, dass es um einen weit höheren Betrag ging – nämlich um rund 13Millionen Euro.

Doch das sollte natürlich nie öffentlich werden. Blöd halt, dass sich Gulya im vergangenen Jahr mit Poschalko in die Haare geriet – die ÖBB hatten im „nur“ rund sechs Millionen überwiesen und den Rest aufgrund von Forint-Wechselkursschwankungen einbehalten. Gulya wandte sich zunächst an Rechtsanwalt Michael Rami, dann an die Wirtschaftsanwältin Sylvia Freygner. Beiden entzog Gulya schließlich die Mandate – sie hatten ihn darauf hingewiesen, dass ihm laut Vertrag viel mehr als die sieben Millionen zustünden. Die Differenz zu den rund 13 Millionen wollte Gulya aber partout nicht einklagen.

Warum – das wird die Justiz zu klären haben. Gut möglich, dass ein weiterer Höhepunkt in der ÖBB-Dramatik bevorsteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2010)

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